Jede Zelle benötigt zum Leben ein ganzes Arsenal von Proteinen. Deren
Bauanleitung ist in den Genen gespeichert, das sind Abschnitte des
Erbmoleküls DNA im Zellkern. Soll ein bestimmtes Protein produziert
werden, erfolgt in einem ersten Schritt die Abschrift des zugehörigen
Gen in ein dazu passendes RNA-Molekül. Über Poren in der Membran des
Zellkerns gelangt dieses in das Zellplasma, wo die Proteinfabriken der
Zelle, so genannte Ribosomen, getreu der Bauanleitung die dazu
passenden Proteine herstellen. "Diese Fließbandproduktion können Viren
aber auch für ihre eigenen Zwecke nutzen", sagt Hopfner. "Die
Parasiten bestehen in der Regel nur aus einem RNA-Molekül als Erbgut,
das von einer kleinen Proteinkapsel umhüllt ist. Die RNA enthält in
erster Linie die Bauanleitungen für neue Kapselproteine. Gelangt sie
in eine Wirtszelle, wird diese umprogrammiert, so dass die
Zellmaschinerie hauptsächlich neue Viruskapseln produziert. Diese
werden mit viraler RNA gefüllt - und eine neue Virengeneration befällt
weitere Zellen."
Menschliche Wirtszellen sind den viralen Freibeutern aber nicht
wehrlos ausgeliefert: Ein bestimmtes Protein, RIG-I, erkennt die
fremde RNA und löst Alarm aus. Dann wird der Botenstoff
Beta-Interferon produziert, der bestimmte Killerzellen aktiviert - die
Vorhut der Körperabwehr. "Außerdem wird durch diese Reaktion das
zelluläre Selbstmord-Programm eingeleitet", berichtet Hopfner. "Ohne
Wirtszelle aber können sich die Viren nicht mehr vermehren." RIG-I
unterscheidet virale RNA von zelleigener RNA anhand eines bestimmten
chemischen Signals, ein so genanntes Triphosphat, das sich am Anfang
des fadenförmigen RNA-Moleküls befindet. Auch die RNA im Zellkern
trägt das Triphosphat-Ende. Auf dieses wird dann aber - anders als
beim viralen Gegenstück - eine molekulare Kappe, das "Cap", gesetzt.
Dem Forscherteam gelangen nun erste Einblicke in die molekularen
Mechanismen, die der Erkennung des RNA-Triphosphats zugrunde liegen.
Dabei zeigte sich, dass ein bestimmter Bereich des RIG-I-Proteins für
diesen Vorgang entscheidend ist. Nachdem sie Triphosphate erkannt hat,
legt diese regulatorische Domäne einen molekularen Schalter um: Sie
verbindet zwei RIG-I-Proteine in ein Tandem. "Wir glauben, dass dieser
molekulare Schalter eine wesentliche Rolle spielt in der Signalkette
hin zur Produktion von Beta-Interferon", so Hopfner. Zudem ist RIG-I
eine ATPase, kann also die Energie aus der Spaltung des ATP-Moleküls
nutzen. In diesem Fall wohl zur Erkennung der viralen RNAs sowie zur
Einleitung der Immunantwort durch das Beta-Interferon. "Noch ist aber
unklar, warum genau die Spaltung des ATPs nötig ist", betont Hopfner.
"Denkbar ist, dass weitere Elemente viraler RNA wichtig sind, etwa um
den Erkennungsprozess noch genauer und sicherer zu machen."
Mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse konnte zudem die dreidimensionale
Struktur dieses Bereichs aufgeklärt werden. "Dabei gab es ein
überraschendes Ergebnis", so Sheng Cui, einer der beiden Erstautoren
der Studie. "Die Domäne ist Elementen in anderen
Signalübertragungswegen der Zelle, den so genannten kleinen
G-Proteinen, sehr ähnlich." Der Grund dafür ist noch nicht bekannt.
Meist allerdings weist strukturelle Ähnlichkeit auf eine funktionale
Gemeinsamkeit hin: Ähnliche Proteinbereiche erfüllen oft also ähnliche
Aufgaben. Ob dies auch hier der Fall ist, soll die Fortführung des
Projekts erweisen. "Es wäre denkbar, dass die Aktivierungsmechanismen
von ganz unterschiedlichen Wegen der Signalübertragung in der Zelle
auf atomarer Ebene mehr Gemeinsamkeiten haben als bisher angenommen",
meint Hopfner. "Unsere Ergebnisse sind aber auf jeden Fall ein erster
Schritt mit spannenden Ergebnissen - die eine ganze Reihe neuer Fragen
aufwerfen."
An der vorliegenden Arbeit waren neben Hopfners Mitarbeitern die
Forschungsgruppen von Professor Karl-Klaus Conzelmann, LMU, von Dr.
Anne Krug, TU München, sowie Professor Takashi Fujita der Universität
Tokyo, Japan, beteiligt. Die Studie wurde vor allem im Rahmen des
Sonderforschungsbereichs (SFB) 455 "Virale Funktionen und
Immunmodulation" gefördert sowie durch die Exzellencluster "Center for
Integrated Protein Science (CiPSM)" und "Munich Center for Advanced
Photonics (MAP)", denen Hopfner angehört. Ihm ist dabei vor allem ein
Gesichtspunkt wichtig: "Unsere Studie zeigt wieder einmal, welch
hervorragende Kooperationsmöglichkeiten es in München gibt, gerade
auch für interdisziplinäre Untersuchungen."
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