Wo und wie beginnt die Übersetzung des genetischen Codes?
Neuer Mechanismus der Translationsinitiation auf der mRNA von Archaea
entdeckt - bei der Mehrzahl der in salzreichen Umgebungen lebenden Arten
fehlen nicht kodierende Bereiche (UTRs) vor einer Protein kodierenden
Sequenz.
FRANKFURT. Wie der genetische Code der Lebewesen in Proteine übersetzt
wird, wie also die so genannte Translation funktioniert, das glaubte
man seit Jahren perfekt verstanden zu haben. Doch der Teufel steckt im
Detail, fand jetzt die Arbeitsgruppe um den Frankfurter Genetiker
Prof. Jörg Soppa heraus. An Archaea, die neben den zellkernlosen
Bakterien und zellkerntragenden Organismen wie Tieren, Pilzen und
Pflanzen (Eucaryota) die dritte Klasse von Lebewesen bilden, fanden
die Forscher eine neue Art der so genannten Translationsinitiation.
Hinter diesem Begriff verbirgt sich der Mechanismus, der einem Ribosom
anzeigt, an welcher Stelle der Code für eine Proteinsequenz auf der
mRNA beginnt. Ribosome sind Makromoleküle, die in den Zellen die
Funktion der Proteinfabriken übernehmen, die mRNA
(Boten-Ribonukleinsäure oder messenger-RNA) übermittelt ihnen die in
der DNA gespeicherte genetische Information zur weiteren Verarbeitung.
"Es war vollkommen unerwartet, bei einer so zentralen Funktion der
Zelle wie der Translation, die seit Jahrzehnten untersucht wird, auf
einen neuen Mechanismus zu stoßen", erklärt Soppa, dessen Ergebnisse
in der angesehenen Zeitschrift PLoS Genetics veröffentlicht wurden.
Um die in der DNA eines Lebewesens gespeicherte Information in reale
Protein-Strukturen umsetzen zu können, muss die DNA zunächst in
Boten-Ribonukleinsäuren (mRNAs) übersetzt werden (Transkription). In
einem zweiten Schritt, der Translation, stellen dann die Ribosomen
Proteine gemäß der Informationen der mRNAs her. Bisher war man davon
ausgegangen, dass die Translationsinitiation bei Archaea ähnlich
abläuft wie bei ?normalen? Bakterien. Dort können mRNAs mehrere für
Proteine kodierende Bereiche enthalten, die jeweils durch
nichtkodierende Bereiche getrennt sind. Die Information, wo die
Übersetzung einer mRNA in ein Protein jeweils starten soll, ist im
davor liegenden UTR (einem nicht kodierenden Bereich) lokalisiert.
Etwa drei bis zehn Nukleotide vor dem Translationsstart liegt ein nach
seinen Entdeckern Shine-Dalgarno-Sequenz genanntes Motiv, das mit dem
Ribosom wechselwirkt und dieses für den Beginn der Translation
positioniert. Bislang wurde angenommen, dass die
Shine-Dalgarno-Sequenz für die Translationsinitiation bei fast allen
prokaryontischen mRNAs essentiell ist. Als Ausnahmen waren nur mRNAs
bekannt, die keine 5'-UTR enthalten. Der Mechanismus der
Translationsinitiation an solchen mRNAs ist bislang nur wenig
untersucht worden, er unterscheidet sich allerdings deutlich von dem
Mechanismus der Initiation an normalen, 5'-UTR-haltigen mRNAs.
Soppas Charakterisierung von 40 mRNAs von Archaea hat nun ergeben,
dass die Mehrzahl von ihnen keine 5'-UTR enthält. Untersucht wurden
zwei Arten halophiler Archaea, die salzreiche Umgebungen bevorzugen.
Zumindest bei ihnen bildet der Mechanismus der Translationsregulation,
der bei Bakterien als Ausnahme betrachtet wird, den Regelfall. Noch
überraschender war jedoch, dass die mRNAs mit 5'-UTR keine
Shine-Dalgarno Sequenz enthielten. In einer bioinformatischen Analyse
wurde gezeigt, dass dies für das gesamte Genom zutrifft und die
Anwesenheit einer Shine-Dalgarno Sequenz vor einem kodierenden Bereich
bei den untersuchten Arten eine Seltenheit ist. An einigen Beispielen
wurde außerdem bewiesen, dass die 5'-UTRs ohne Shine-Dalgarno-Sequenz
trotzdem in der Zelle effizient ?übersetzt? werden. Die Forschungen
der nächsten Jahre sollen zeigen, wie dieser neue Mechanismus
funktioniert, welche Komponenten beteiligt sind, und wie weit
verbreitet er in anderen Archaea oder auch in Bakterien ist.
Quellen und Artikel:
-
Open Access Article
Mariam Brenneis, Oliver Hering, Christian Lange, Jörg Soppa: Experimental Characterization of Cis-Acting Elements Important
for Translation and Transcription in Halophilic Archaea.
In: PLoS Genet 3(12), 2008: e229
doi: 10.1371/journal.pgen.0030229.