Direkte Sequenzierung bedeutet, die vier Buchstaben des genetischen
Codes zu lesen wie mit einer Lupe. Ein DNA- oder RNA-Strang hat einen
Durchmesser von nur zwei Nanometern, entsprechend stark muss die
Vergrößerung sein. Deckerts Team nutzt dazu ein Rasterkraftmikroskop.
Eine winzige versilberte Glasspitze fährt, vom Mikroskop gelenkt, über
den RNA-Strang. Ein auf diese Spitze fokussierter Laserstrahl regt den
Abschnitts des Strangs, der gerade abgerastert wird, und versetzt ihn
in Schwingungen. Aus dem Streulichtspektrum (Ramanspektrum) lassen
sich genaue Rückschlüsse auf die molekulare Struktur ziehen. Jeder
genetische Buchstabe, sprich jede der vier Nucleobasen, schwingt
anders und erzeugt daher einen charakteristischen spektralen
"Fingerabdruck".
Eine direkte Auflösung einzelner Basen ließ sich zwar nicht erreichen,
ist aber auch gar nicht notwendig. Die Spitze muss lediglich in
Intervallen von jeweils einem Base-Base-Abstand über den RNA-Strang
bewegt werden. Auch wenn die gemessenen Daten dann aus einer
Überlagerung der Spektren einiger benachbarter Nucleobasen bestehen,
sollte sich daraus die Sequenz der RNA ableiten lassen.
Wenn sich die Methode, die als "Spitzenverstärkte Raman-Spektroskopie"
(TERS von engl. Tip-enhanced Raman Spectroscopy) auch auf DNA
übertragen lässt, könnte sie die Entschlüsselung des Erbguts
revolutionieren. Herkömmliche Methoden zur DNA-Sequenzierung sind sehr
komplex, funktionieren nur indirekt und benötigen eine große Menge
Erbmaterial. Die von Deckert entwickelte TERS dagegen "liest" den Code
direkt, ohne chemische Hilfsmittel oder Umwege. Und es wird nur ein
einzelner DNA-Strang benötigt. "Die DNA-Sequenzierung könnte ganz
einfach werden," sagt Deckert, "wie das Scannen eines Strichcodes an
der Supermarktkasse."
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