Die Chloroplasten von Tabakpflanzen wurden so verändert, dass
ihnen für den Einbau der Aminosäure Glycin nicht mehr mindestens
zwei tRNAs zur Verfügung standen, sondern nur jeweils eine.
Bild: Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie
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Zum Hintergrund: Die genetische Information
beinhaltet den Bauplan für die Eiweiße (Proteine) jeder Zelle. Diese
Information ist in der Erbsubstanz (engl.: DNA) gespeichert. Von der
DNA werden kurzlebige Abschriften hergestellt (Boten-RNA), an die so
genannte tRNA-Moleküle binden können. An diese tRNA-Moleküle ist
jeweils eine spezielle Aminosäure gekoppelt. tRNA-Moleküle passen
immer nur an bestimmte Stellen der Boten-RNA, die jeweils durch drei
Nukleotidbasen markiert sind. Über diesen genetischen Code kann die
Erbinformation in eine Reihenfolge von Aminosäuren übertragen werden.
Dass Gene über dieses Schlüssel-Schloss-Prinzip mit mindestens 32
Schlüsseln in die biologisch wirksamen Proteine übersetzt werden, ist
seit den Arbeiten des Mitentdeckers der DNA-Doppelhelix, Francis Crick,
bekannt.
Die
Bausteine der Erbsubstanz, die Nukleinsäuren (DNA und RNA), bestehen
aus vier Informationsträgern, den so genannten Basen. Die Basen der
RNA-Moleküle heißen Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Uracil
(U). Kombinationen aus jeweils drei dieser Basen bestimmen die spätere
Reihenfolge der Aminosäuren (Eiweißbausteine). Für die meisten der 21
Aminosäuren stehen dabei nach den Regeln des genetischen Codes mehrere
Basenkombinationen zur Verfügung. Der Einbau wird durch so genannte
tRNAs vermittelt, die die jeweilige Dreierkombination von Basen
erkennen und dann den entsprechenden Aminosäurebaustein an der
richtigen Stelle in das Protein einbauen. Dies geschieht durch die
Paarung zweier jeweils passender Basen. C passt auf G und A auf U.
Jetzt müssen Schulbücher ergänzt und umgeschrieben werden: Denn den
Max-Planck-Wissenschaftlern in Potsdam ist es nun gelungen, den
Mechanismus aufzuklären, durch den auch mit weniger "Schlüsseln" die
komplette genetische Information umgesetzt werden kann. Dieser als "Superwobbeln"
bezeichnete Effekt konnte durch Experimente an Chloroplasten von
Tabakpflanzen erstmals experimentell bestätigt werden. Die alternative
Theorie, dass es für den korrekten Einbau mancher Aminosäuren
ausreicht, wenn nur zwei Nukleotidbasen der Boten-RNA mit der tRNA
paaren, konnte widerlegt werden - große, "sperrige" Nukleotidbasen,
wie z.B. Guanin, lassen dies nicht zu. Die kleine, flexible Base
Uracil hingegen kann mit allen anderen Basen paaren und damit
gewissermaßen als "Joker" oder "Dietrich" wirken. "Durch diesen
Mechanismus können Genome kleiner und kompakter sein, weil nicht alle
tRNA-Moleküle vorhanden sein müssen", sagt Marcelo Rogalski, Mitglied
der Arbeitsgruppe um Professor Bock. Die genetische Information werde
dabei nach wie vor korrekt und ausreichend schnell übersetzt. Seit
einigen Jahren ist bekannt, dass es einige Bakterien und
Zellorganellen (Chloroplasten und Mitochondrien) gibt, die nicht für
jede Basenkombination die passende tRNA besitzen. An Chloroplasten
sollte nun herausgefunden werden, ob das Schlüssel-Schloss-Prinzip der
tRNA durch einen "Dietrichmechanismus" einzelner tRNAs umgangen wird.
[JR/BA]
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