Zellulärer Frachtverkehr: die Ladung hilft beim Bau der Lokomotive
In jeder Zelle herrscht reger Frachtverkehr: Durch eine Vielzahl von
Transportprozessen werden Zellkomponenten zielgenau an ihre jeweilige
Wirkungsstätte transportiert. Motorproteine wirken dabei als zelluläre
Lokomotiven. Ein Wissenschaftler-Team des GSF - Forschungszentrums für
Umwelt und Gesundheit (GSF) und der Ludwig-Maximilians-Universität
München (LMU) fanden nun heraus, dass das Frachtgut am Zusammenbau
dieser Motoren beteiligt sein kann.
Wie das zelluläre Transportsystem aufgebaut ist, war bisher nur
unzureichend untersucht. Bekannt ist jedoch, dass das zelluläre
Skelett aus Aktin-Filamenten ein filigranes Schienennetz bildet,
entlang dessen molekulare Motoren als "Lokomotive" ihre Fracht an den
Bestimmungsort liefern. Zu den am besten untersuchten Motorproteinen
gehören sogenannte Typ V Myosine. Zusammen mit weiteren
Transportkomponenten formen sie große Komplexe, die mRNAs, sowie
Organellen und Proteine an ihren Zielort bringen. Defekte der Typ V
Myosine wurden beispielsweise als Ursache neurodegenerativer
Erkrankungen und des "Griscelli-Syndroms" identifiziert - eine
seltene, aber schwere Erbkrankheit, die auf einem gestörten Transport
der Hautpigmente beruht.
Weitgehend unbekannt war bisher, wie sich die zelluläre Lokomotive und
ihre Fracht zu einem funktionierenden Transportkomplex zusammenfinden.
Dieser Frage widmete sich nun ein Forscherteam um Dr. Dierk Niessing
(GSF) und Prof. Ralf-Peter Jansen (LMU): Die Wissenschaftler
untersuchten, wie die Bäckerhefe Transportkomplexe zusammenbaut, um
ihre zelluläre Fracht mit Hilfe des Typ V Myosins Myo4p zu
transportieren.
Vorherige Experimente mit Typ V Myosinen deuteten bereits darauf hin,
dass dieser Motortyp grundsätzlich Dimere bildet, d.h. zwei Myosine
sind miteinander verbunden[RJ2]. Dies ist notwendig, um entlang der
Aktinfilamente zu wandern - ansonsten könnten die Motorproteine nicht
dauerhaft an den Filamenten haften und jede Vorwärtsbewegung würde zum
Entgleisen des zellulären Güterzugs führen. "Die Situation ist
vergleichbar mit einem Mensch, der sich mit Saugnäpfen entlang einer
glatten Oberfläche bewegt. Mit nur einem Saugnapf kann man sich zwar
festhalten, aber nicht fortbewegen", erläutert Niessing, der Leiter
einer von GSF, LMU und der Helmholtz-Gemeinschaft gemeinsam
finanzierten wissenschaftlichen Nachwuchsgruppe.
Die Forscher waren daher sehr überrascht, als sie feststellten, dass
Myo4p überhaupt nicht dimerisiert - ein solcher Einzelgänger sollte
eigentlich keine zelluläre Fracht transportieren können. Damit es doch
funktioniert, bekommt Myo4p Hilfe: das zu transportierende Molekül
She3p aus dem Transportkomplex dockt an zwei unabhängigen Stellen an
Myo4p an, wodurch eine Bindung mit so hoher Affinität und Stabilität
erreicht wird, wie sie für Transportprozesse notwendig ist. "Der zu
transportierende Komplex hilft somit beim Zusammenbau des Motors und
übernimmt eine ungewöhnliche Schlüsselposition bei der Regulation des
Myo4p-abhängigen Transportes", erklärt Niessing, und Jansen hebt
hervor: "es bleibt eine spannende Frage zu klären, ob in anderen
Transportvorgängen ähnliche Strategien zur Aktivierung des Motors
verfolgt werden."
Quellen und Artikel:
-
Alexander Heuck, Tung-Gia Du, Stephan Jellbauer, Klaus Richter,
Claudia Kruse, Sigrun Jaklin, Marisa Müller, Johannes Buchner,
Ralf-Peter Jansen, and Dierk Niessing: Monomeric myosin V uses two binding regions for the assembly of
stable translocation complexes.
In: PNAS published December 4, 2007,
doi 10.1073/pnas.0706780104