Wichtiges Scharnier
Glutamatrezeptoren bestehen aus einer Erkennungsstelle für Glutamat,
in die der Botenstoff genau hineinpasst, und aus einem Kanal in der
Zelloberfläche, der sich öffnen und schließen kann. Wie bei einer
Mausefalle schnappt die Erkennungsstelle für Glutamat zu, sobald der
Botenstoff bindet. Diese Bewegung löst dann die Öffnung des Kanals
aus, wodurch außen angestaute positive Ladungsträger in die Zelle
einströmen können und damit ein elektrisches Signal erzeugen. Dabei
sind Glutamaterkennungsstelle und Kanal über einen ausgeklügelten,
dreiteiligen Gelenkmechanismus miteinander verbunden. Über einen der
drei Gelenkteile ist bekannt, dass kleinste Veränderungen bereits
enorme Fehlfunktionen zur Folge haben. So ist bei einer krankhaften
Mutation in Mäusen dieser Gelenkteil so verändert, dass der Kanal
ständig geöffnet ist, egal ob Glutamat vorhanden ist oder nicht. Dies
blockiert jede normale Signalweiterleitung und führt zum Absterben der
Nervenzellen.
Auf das Zusammenspiel kommt es an
Die genaue Struktur des Gelenks und insbesondere das Zusammenspiel
aller drei Teile sind weitgehend unbekannt. Zudem sind diese Gelenke
in den vier verschiedenen Glutamatrezeptortypen, die es gibt, sehr
verschieden aufgebaut. In der jetzt veröffentlichten Studie haben die
Forscher die einzelnen Gelenkteile zwischen verschiedenen
Glutamatrezeptoren ausgetauscht, um die Grundlagen ihrer Funktion und
Vielseitigkeit besser zu verstehen. Tatsächlich konnten sie
feststellen, dass genau die beiden Gelenkteile, über die bisher am
wenigsten bekannt ist, die Funktion der Rezeptoren entscheidend
beeinflussen. Die Veränderung eines dieser Gelenkteile führt ähnlich
wie bei der Mausmutation zu ständig geöffneten Kanälen, die
Veränderung des anderen zum kompletten Verlust der Kanalfunktion.
Kombiniert man beide Veränderungen, so erhält man interessanterweise
wieder einen normal funktionierenden Rezeptor. "Wir glauben, hier zwei
Teile des Gelenks identifiziert zu haben, auf dessen Zusammenspiel es
entscheidend ankommt. Sind sie zu schwergängig, kann sich der Kanal
nicht mehr öffnen, sind sie zu leichtgängig, ist der Kanal ständig
offen", folgert Sabine Schmid.
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Normale Funktionsweise von
Glutamatrezeptoren in schematischer Darstellung. Die drei
Gelenkteile, die die Glutamaterkennungsstelle mit dem Ionenkanal
verbinden, sind in rot dargestellt.
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Auswirkung der
Gelenkteilveränderung auf die Kanalfunktion. Der Kanal ist ständig
geöffnet, unabhängig davon, ob Glutamat vorhanden ist oder nicht. |
Voraussetzung zur Entwicklung von Medikamenten
Die genaue Erforschung solcher feinmechanischer Prinzipien in
Glutamatrezeptoren ist Vorraussetzung, will man krankhafte
Veränderungen in der Signalweiterleitung verstehen und durch
Medikamente gezielt eingreifen. Die drei Gelenkteile sind in dieser
Hinsicht besonders interessant, weil sie sehr typisch für die vier
verschiedenen Glutamatrezeptortypen sind, und somit die Entwicklung
von Medikamenten ermöglichen könnten, die gezielt nur einen einzelnen
Rezeptortyp ansprechen - eine wichtige Vorraussetzung, um Stoffe zu
entwickeln, die keine negativen Nebenwirkungen haben.
Hintergrund: Signalweiterleitung im Gehirn
Im Gehirn entsteht unsere Gedankenwelt durch die Verschaltung
elektrischer Signale in einem gigantischen Netzwerk aus rund 100
Milliarden Nervenzellen. Dabei stehen die einzelnen Nervenzellen nicht
in direktem elektrischen Kontakt miteinander, sondern ein winziger
Spalt trennt sie. Signale, die von einer Zelle zur anderen
weitergeleitet werden sollen, müssen diesen Spalt überbrücken. Dies
geschieht an speziellen Kontaktstellen, den so genannten Synapsen, wo
die Signalweiterleitung mit Hilfe eines chemischen Botenstoffes
erreicht wird. Die elektrisch erregte Nervenzelle schüttet den
Botenstoff aus, dieser wandert durch den Spalt, und wird von der
Empfängerzelle aufgespürt. Sehr häufig ist der benutzte Botenstoff im
Gehirn die Aminosäure Glutamat. Spezialisierte molekulare Schalter in
der Oberfläche der Empfängerzelle, die so genannten
Glutamatrezeptoren, registrieren die Anwesenheit von Glutamat im Spalt
und übersetzen dieses chemische wieder in ein elektrisches Signal.
Glutamatrezeptoren spielen eine so zentrale Rolle in unserem Gehirn,
dass das genaue Verständnis ihrer Feinmechanik unabdingbar ist, wollen
die Forscher verstehen, wie Nervenzellen sie nutzen, um Botschaften zu
verschlüsseln.
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