Erstmalig konnten Dresdner Wissenschaftler nachweisen, dass pflanzliche
Stoffe, die etwa in Rotwein, Soja oder grünem Tee vorkommen, wichtige
Vorgänge in Körperzellen verlangsamen oder beschleunigen können. Sie
docken in der Zelle an dem für die Zellbewegung und Zellteilung
verantwortlichen Molekül Aktin an. Abhängig vom jeweiligen
Pflanzenstoff, so die neuesten Forschungsergebnisse, die nun in der
Fachzeitschrift "Biophysical Journal" veröffentlicht wurden, wird die
Fähigkeit des Aktins, sich zu langen Ketten zusammenzulagern, gefördert
oder gehemmt. Besonders überraschend war der Befund, dass Pflanzenstoffe
auch das Ablesen der Gene im Zellkern beeinflussen.
Mehr als 6000 Flavonoide sind derzeit bekannt. Sie sind etwa als
Pflanzenfarbstoffe in Obst und Gemüse enthalten und werden über die
Nahrung aufgenommen. Sie werden oft in Zusammenhang mit den positiven
gesundheitlichen Auswirkungen von grünem Tee oder Rotwein gebracht. Ihre
Wirkungsmechanismen sind jedoch weitgehend unbekannt und auch mögliche
Risiken noch nicht sicher beurteilbar. Viele Wissenschaftler arbeiten an
der Aufklärung dieser Mechanismen auf molekularer Ebene mit dem Ziel,
von der Natur zu lernen, um dann in einem weiteren Schritt hochwirksame
Arzneimittel beispielsweise gegen Krebs oder Herzinfarkt zu entwickeln.
Schematische Darstellung der räumlichen Struktur
von Aktin. Der Pfeil zeigt auf die Position der vermuteten
Bindetasche für Flavonoide. Im Ausschnitt ist die vorhergesagte
Struktur des Quercetins in der Bindetasche dargestellt.
Referenz: PDB, ID 1j6z
Zwei erstaunliche Resultate, die auf der
Bindung von Flavonoiden mit dem Eiweißstoff Aktin beruhen, kamen nun
zutage. Aktin ist das am häufigsten vorkommende und eines der am
besten untersuchten Proteine überhaupt. Im Zusammenspiel mit anderen
Proteinen ermöglicht es die Muskelkontraktion, die Veränderung der
Zellform und die Trennung der Tochterzellen bei der Zellteilung.
Bereits vor zwei Jahren fanden Biologen von der Technischen
Universität Dresden überraschend heraus, dass Flavonoide auch im Kern
lebender Zellen an das Aktin andocken 1). Nun konnten sie
gemeinsam mit Biophysikern vom Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (FZD)
erstmalig im Reagenzglas nachweisen, dass Flavonoide die Kettenbildung
von Aktinmolekülen, die für viele Funktionen in Zellen wesentlich
sind, so beeinflussen, dass sich die Geschwindigkeit dieser Vorgänge
ändert 2). Flavonoide können somit zelluläre Prozesse
verstärken oder schwächen. Das gilt sogar für die Geschwindigkeit, mit
der im Zellkern das Erbgut von der DNA abgelesen wird. Dieses
Ergebnis, so Prof. Herwig O. Gutzeit von der TU Dresden, zeigt
erstmals direkt die biologische Wirksamkeit der Flavonoide im Körper
bis hin zum Einfluss auf die Genetik von Körperzellen.
Dem Biophysiker Dr. Karim Fahmy vom Forschungszentrum
Dresden-Rossendorf (FZD) gelang es zudem, den genauen Wirkmechanismus
zu entschlüsseln, wie Flavonoide wesentliche Abläufe in Körperzellen
oder im Zellkern verlangsamen oder beschleunigen können. Die
Flavonoide funktionieren gewissermaßen wie Schalter, die am Aktin
ansetzen und dessen Funktionen hemmen oder verstärken. Mit Hilfe der
Infrarot-Spektroskopie untersuchte Fahmy die Wechselwirkungen von
Aktin mit dem verstärkend wirkenden Flavonoid Epigallocatechin ("Aktivator")
und dem hemmenden Quercetin ("Inhibitor"). Diese Methode ist
hervorragend geeignet, um Strukturänderungen in großen Biomolekülen
ohne chemische oder andere störende Eingriffe in die sehr
empfindlichen Eiweißstoffe aufzuzeigen. Gibt man zu Aktin also eines
der ausgewählten Flavonoide dazu, so ändert sich die Struktur des
Aktins in auffälliger und typischer Weise. Je nach Art des Flavonoids
wird der "Aktin-Schalter" auf erhöhte oder verringerte Aktivität
eingestellt und damit die Funktionen des Proteins direkt beeinflusst.
Die Schlussfolgerungen liegen für die Wissenschaftler auf der Hand:
Die Wirkung der Flavonoide liegt in ihrer Form begründet. Aktin selbst
ist ein flexibles Molekül, wodurch sich erklären lässt, dass
verschiedene Flavonoide zwar auf ein und dieselbe Art an Aktin binden,
die beobachteten Effekte jedoch von Hemmung bis hin zur Stimulation
reichen. Flexible Flavonoide passen sich der Struktur des Aktins an
und bilden Komplexe, die die Aktinfunktionen fördern. Starrere
Flavonoide dagegen prägen dem Aktin eine Struktur auf, die mit den
natürlichen Funktionen von Aktin schlecht vereinbar ist, und können
gerade deshalb die von Aktin abhängigen Zell-Prozesse stark hemmen.
Dies konnte auch durch Simulationsrechnungen des Bindungsverhaltens
von Flavonoiden bestätigt werden. So sind erstmalig Wissenschaftler
den bislang unbekannten strukturspezifischen Wirkmechanismen von
Flavonoiden auf die Spur gekommen.
Quellen und Artikel:
-
1) Böhl, M., C. Czupalla, S. V. Tokalov, B. Hoflack, and
H. O. Gutzeit. 2005:
Identification of actin as quercetin-binding protein: an approach
to identify target molecules for specific ligands
in:
Analytical Biochemistry, Volume 346, Issue 2, 15 November
2005, Pages 295-299; DOI
10.1016/j.ab.2005.08.037
-
2) Markus Böhl, Simon Tietze, Andrea
Sokoll, Sineej Madathil, Frank Pfennig, Joannis Apostolakis, Karim
Fahmy, and Herwig O. Gutzeit: Flavonoids Affect Actin Functions in Cytoplasm and Nucleus Biophysical Journal, 2007 Vol. 93: 2767-2780; Published ahead
of print on June 15, 2007 as DOI
10.1529/biophysj.107.107813
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Das
Forschungszentrum Dresden - Rossendorf e.V., FZD, ist mit ca.
700 Mitarbeitern das größte Institut der
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und verfügt über ein jährliches Budget von rund 57 Mill. Euro. Hinzu
kommen etwa 10 Mill. Euro aus nationalen und europäischen
Förderprojekten sowie aus Verträgen mit der Industrie. Zur
Leibniz-Gemeinschaft gehören 83 außeruniversitäre
Forschungsinstitute und Serviceeinrichtungen für die Forschung.
Leibniz-Institute arbeiten interdisziplinär und verbinden
Grundlagenforschung mit Anwendungsnähe. Jedes Leibniz-Institut hat
eine Aufgabe von gesamtstaatlicher Bedeutung, weshalb sie von Bund
und Ländern gemeinsam gefördert werden. Die Leibniz-Institute
verfügen über ein Gesamtbudget von gut 1 Milliarde Euro und
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