Das "Spleißen" spielt bei der genetischen Informationsübertragung
zwischen DNA und RNA eine zentrale Rolle. Hierbei wird die
Erstabschrift eines Gens ("prä-mRNA") in ein "reifes Transkript" aus
Boten-RNA (mRNA) umgewandelt. Nicht-codierende Gensequenzen (Introns)
werden aus dem Primärtranskript herausgeschnitten und die
verbleibenden Genabschnitte (Exons) zu einem durchgängigen Strang
verknüpft. Das so entstandene reife Transkript (mRNA) dient später bei
der Proteinbiosynthese als Bauanweisung. Beim alternativen Spleißen
gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die `relevanten? Genabschnitte
zu reifen Transkripten zu kombinieren. Auch nicht-codierende Sequenzen
können Berücksichtigung finden oder Exons übersprungen werden. Die
althergebrachte Vorstellung "ein Gen ergibt ein Protein" gilt damit
nicht mehr.
"Die Regulation dieser Zerlegungs- und Neukombinationsprozesse erfolgt
über spezielle Markierungen", so die Mitautorin Stefanie Schindler.
Diese zeigen an, welche Abschnitte aus den Primärtranskripten entfernt
werden und welche in die mRNA übernommen werden sollen. Damit
Intron-Sequenzen erkannt werden können, müssen deren Enden als solche
gekennzeichnet sein. Hierbei galt bisher die Regel: das linke Ende
eines Introns ist durch die Basenabfolge Guanin-Thymin (GT)
gekennzeichnet, das rechte Ende durch Adenin-Guanin (AG).
"Nun haben wir aber bei 36 Genen Introns gefunden, die
ungewöhnlicherweise am rechten Ende auf TG enden", sagt Dr. Szafranski.
"Das ist eine klare Verletzung bestehender Spleiß-Regeln". Die
Wissenschaftler dachten zuerst an einen Datenfehler. "Nach mehreren
Suchdurchläufen durch die humane Genomsequenz und einer aufwändigen
experimentellen Validierung wurde aber klar: der Fund ist echt!",
freut sich auch Stefanie Schindler. Zudem konnte die Sequenzevolution
über verschiedene Wirbeltiere nachvollzogen werden. Und man fand
heraus: die ungewöhnlichen Enden der Introns existieren seit der
Entstehung der Säugetiere so gut wie unverändert. Szafranski: "Für uns
war das eine Sensation! Evolutionsbiologisch betrachtet passiert so
was sicherlich nicht ohne Grund." Der Molekularbiologe sieht hierin
einen deutlichen Hinweis auf die funktionelle Bedeutung dieser
Ausnahme-Introns. Unter den 36 auffälligen Genen fanden die Forscher
am FLI einige Gene, die als Tumorsuppressoren wirken, also Krebs
verhindern. Von anderen dieser Gene ist bekannt, dass sie bei
Fehlfunktion zu gestörter Embryonalentwicklung, z.B. Gaumenspalten,
führen.
Die in "Genome Biology" aktuell veröffentlichten Ergebnisse decken
eine weitere erstaunliche Gemeinsamkeit auf. Alle gefundenen Fälle
zeigen, dass die Introns immer in zwei Varianten aus den
Primärtranskripten entfernt werden können. Bei der einen Variante wird
das Intron-Ende im Einklang mit den herrschenden Spleißregeln durch
ein `klassisches? AG festgelegt. Bei der neu entdeckten Variante ist
das Ende durch das ungewöhnliche TG markiert.
Die vorliegenden Daten zeigen: Auch wenn die AG-Position nicht direkt
als Schnittstelle beim Spleißen zum Tragen kommt, spielt sie doch in
einem Zwischenschritt der Spleißreaktion eine tragende Rolle. "Dieser
Befund mutet auf den ersten Blick etwas paradox an", stellt Karol
Szafranski fest. Es sieht so aus, als müsse eine AG-Stelle vorhanden
sein, damit der Spleißvorgang überhaupt anlaufen kann. Ist der Prozess
erst einmal in Gang gesetzt, wird die Spleißreaktion vermutlich
verzögert und auf die ungewöhnlichen TG-Enden umgeleitet. Die Forscher
nehmen an, dass durch dieses `verzögerte Spleißen? die Verarbeitung
der Primärtranskripte in reife Transkripte zeitlich gesteuert werden
kann. So wäre es beispielsweise möglich, die mRNA gezielt vor oder
nach der Zellteilung `reifen? zu lassen.
Derzeit fahnden die Forscher nach den Proteinen, die mit den
jeweiligen AG- und TG-Spleißvarianten verbunden sind. Wie
unterscheiden sich diese Proteine in der Funktion? Offen ist zudem,
wie die Nutzung der AG- und TG-Spleißstellen gesteuert wird. Könnte
die Wahl bestimmter Spleißstellen gezielt manipuliert werden, um
letztendlich bestimmte Erbkrankheiten oder Tumore zu behandeln? Die
gefundene `Regelverletzung? hat also beträchtliches
medizinisch-therapeutisches Potential. Und nicht zuletzt trägt sie
auch dazu bei zu belegen, warum der Mensch der Ackerschmalwand
zumindest genetisch gesehen überlegen ist.
Die Arbeiten werden durch das Jenaer Zentrum für Bioinformatik (JCB),
das Nationale Genomforschungsnetzes (NGFN) und die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. [aw-t]
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