Perlmutt bildet die innerste Schicht der Schalen verschiedener Mollusken, etwa Muscheln und bestimmter Schnecken. Dabei ist Aragonit, eine Modifikation des Calciumcarbonats, in Schichten und Stapeln zusammen mit organischen Komponenten angeordnet. Dem Perlmutt verleiht dieser Aufbau im Wechsel von weichen organischen Bestandteilen und hartem Kalk eine außerordentliche Bruchfestigkeit und Zähigkeit. Doch auch der Mensch hat schnell die Vorzüge des Materials erkannt und für sich zu nutzen gewusst: Weil das Licht gebrochen und zum Teil reflektiert wird, schillert Perlmutt in allen Regenbogenfarben. Schon früh also wurden daraus etwa Knöpfe sowie Schmuck und geschnitzte Kunstwerke hergestellt. Mittlerweile interessiert sich aber auch die Wissenschaft stärker für dieses spannende Material. Denn es ist ein weiteres Beispiel für ein hart-elastisches Komposit, wie es die Natur in vielen Bereichen mit hoher mechanischer Belastung entwickelt hat. Oft sind dabei die Verbundstoffe den Einzelkomponenten weit überlegen. Auch die Bruchzähigkeit einer Muschelschale ist rund 3000-fach höher als die des reinen Aragonits. Für eine technische Nutzung dieser Stoffe muss aber erst der Feinaufbau des betreffenden Materials entschlüsselt werden, um anhand dieser Vorlage biomimetische Stoffe entwickeln zu können. So nennt man Materialien, die ihren natürlichen Vorbildern ähneln, ohne aber identisch zu sein. Die Vorzüge der synthetischen Varianten: Sie sind in der Regel in größeren Mengen herstellbar und können in ihren Eigenschaften präzise angepasst werden. Perlmutt etwa könnte auch die Entwicklung von Baumaterialien revolutionieren. So sind extrem leichte Verbundstoffe mit bislang unerreichter Festigkeit denkbar. Im Fall der aktuellen Forschungstätigkeit, an der neben der Leibniz Universität auch die Medizinische Hochschule Hannover und die Technische Universität Braunschweig beteiligt sind, soll speziell die Medizintechnik vom natürlichen Vorbild Perlmutt profitieren. Noch bieten die herkömmlichen Materialien nämlich keine optimalen Eigenschaften. "Keramische Implantate zum Beispiel haben zwar kaum Abrieb, sind aber elastisch zu wenig verformbar. Anders gesagt: Sie brechen relativ leicht", berichtet Analía Inés Moral, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) unter Leitung von Prof. Berend Denkena arbeitet. "Metallische und kunststoffbasierte Materialien haben dagegen den Nachteil, dass ihre Lebensdauer begrenzt ist." Die Eigenschaften des Perlmutts mit synthetischen Materialien wie Polymeren und anorganischen Nanoteilchen nachzuempfinden, darum kümmern sich Chemikerinnen und Chemiker um Prof. Henning Menzel vom Institut für Technische Chemie der TU Braunschweig und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Prof. Peter Behrens vom Institut für Anorganische Chemie der Leibniz Universität. Im Labor für Biomechanik der Medizinischen Hochschule Hannover testet Dr.-Ing. Christoph Hurschler die Eigenschaften des Materials in unterschiedlichen Situationen, unter anderem mit einem Kniegelenk-Simulator. Das synthetische Perlmutt soll sich dann in weiteren Tests am IFW bewähren. Es muss leicht zu bearbeiten sein, dabei aber die gewünschten Eigenschaften der Endoprothesen aufweisen - also auch mechanisch sehr belastbar sein. Dazu führt die Wissenschaftlerin Analía Inés Moral am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen zuerst Ritzversuche an echtem Perlmutt durch. Die Ergebnisse sollen das Fundament für eine komplexere Bearbeitung von künstlichem Perlmutt legen. Ist der Werkstoff erfolgreich, könnte er als Implantat im Bereich der Endoprothetik dienen, also im Körperinneren etwa als Knie- oder Hüftgelenk Verwendung finden. "Die Herstellung von Endoprothesen erfordert eine hervorragende Oberflächengüte", berichtet die 27-jährige Argentinierin Moral. "Unsere Ergebnisse lassen hoffen, dass das natürliche Kompositmaterial Perlmutt auch dies bieten kann. Die später synthetisch hergestellten Implantate würden dadurch besonders bruchsicher und belastungsresistent." Wie das Material in größeren Mengen auch künstlich aus maßgeschneiderten Polymeren und angepassten anorganischen Nanoteilchen hergestellt werden kann, ist bislang noch wenig erforscht. Deshalb gehört das Projekt auch zum Sonderforschungsbereich 599 "Zukunftsfähige bioresorbierbare und permanente Implantate aus metallischen und keramischen Werkstoffen". "Erste synthetische Ansätze zeigen, dass sich die Strukturen des Perlmutts zumindest als dünne Schichten im Labor produzieren lassen", so Moral. "Wir werden uns nun der Herstellung größerer Grundkörper widmen. Auch wenn es bis zur Realisierung dieses ehrgeizigen Ziels noch ein weiter Weg ist, haben wir gemeinsam mit unseren Projektpartnern die prinzipiellen Voraussetzungen für die Entwicklung entsprechender biomimetischer Materialien geschaffen."
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