Informationsübertragung ist eine grundlegende Eigenschaft von biologischen Systemen. Die meisten denken dabei an die Übertragung von Erbinformation oder das Feuern von Nervenzellen. Auf einer noch basaleren Stufe laufen die Signalübertragungen in und zwischen Zellen ab. Hier kommen ganz kleine Signalmoleküle zum Einsatz, die beispielsweise Phosphat- oder Sulfatgruppen enthalten. Letztere enthalten ein Schwefelatom. Da diese Prozesse so grundlegend sind, widmete ihnen die Forschung viel Zeit, so dass eine grosse Zahl an Abläufen und involvierten Strukturen bekannt ist. Umso überraschender ist es, dass ETH-Forscher bei einem Übertragungsprozess mit sulfatierten Molekülen auf ein Protein, eine sogenannte Sulfotransferase, stiessen, deren Funktion bekannt ist, die aber eine bisher unbekannte Struktur aufweist. Die Gruppe von Rudolf Glockshuber veröffentlichte zu dem ASST genannten Protein eine Arbeit in der Fachzeitschrift PNAS. ETH-Forscher kamen über Disulfidbrücke Wie oft in der Forschung erfolgte die neue Einsicht in die Signalübertragung nicht von Forschern, welche direkt diesen Prozess untersuchen wollten. Die Glockshuber-Gruppe ist seit längerem interessiert an Mechanismen der Proteinfaltung. Für diese spielen unter anderem Disulfidbrücken, Bindungen zwischen zwei Schwefelatomen der Proteinkette, eine wichtige Rolle. Als die Wissenschaftler Gendatenbanken durchforsteten, entdeckten sie bei E. coli-Stämmen, die Harnweginfektionen verursachen, eine interessante Kombination. Hier lagen nämlich zwei Proteine der Disulfidbrückenbau-Maschinerie neben ASST. Da in Bakterien häufig Gene beieinander liegen, die in einen gemeinsamen Prozess eingebunden sind, lag eine Vermutung nahe: ASST könnte ein geeignetes Protein sein, um Disulfidbrückenbildung zu studieren. Die ETH-Forscher beschlossen darum, die Struktur von ASST aufzuklären. Das war aber gar nicht so einfach. Denn das Protein ist gross und kommt nur in geringen Mengen in einem als Periplasma bezeichneten Raum vor. Indem aber die Forscher die Bakterien im grossen Massstab züchteten, erhielten sie dann doch genügend Material, um die Proteine röntgenkristallographisch zu analysieren. Dafür züchteten sie Kristalle von ASST und untersuchten diese an der Swiss Light Source am Paul Scherrer Institut in Villigen. Zwei Propeller, die einen Käfig bilden Mit dieser Analyse, die eine Auflösung von zwei Ångström hatte, zeigte sich in der Tat, dass ASST eine extrem kurze Disulfidbrücke besitzt, die möglicherweise nur durch die mit ASST assoziierten Disulfid-Einbau-Enzyme gebildet werden kann. Diese Disulfidbrücke trägt wesentlich zur korrekten Faltung des Proteins bei und könnte auch die Aktivität des Proteins beeinflussen. Doch diese Erkenntnisse gerieten im Licht der anderen Befunde fast etwas in den Schatten. Denn den Forschern enthüllte sich eine bisher nie gesehene Proteinstruktur. Sie besteht auf zwei gleichen propellerartigen Teilen. Die Reaktionszentren liegen dabei jeweils im trichterförmigen Zentrum der beiden Propeller, die aus sogenannten b-Faltblattstrukturen gebildet werden. So etwas war für eine Sulfotransferase noch nie beschrieben worden. Doch wie funktioniert diese Zweipropeller-Maschine? Um das herauszufinden, ersetzten die Forscher einerseits einzelne Aminosäuren, also die Bestandteile des Gesamtproteins. Andererseits gaben sie Stoffe hinzu, welche bei der Sulfatübertragung als Sulfat-Donoren fungieren. Erneut röntgenkristallographische aber auch biochemische Analysen komplementierten das Bild. Es zeigte sich, dass rund fünf stickstoffhaltige Aminosäuren für die Funktion von ASST zentral sind. Sie bilden einen Reaktionskäfig, in dem sowohl der Donor als auch der Empfänger der Sulfatgruppe gefangen gehalten wird. Sicher ist, dass während der Übergabe das Signalmolekül direkt, sogenannt kovalent an eine Histidin-Seitenkette von ASST gebunden wird. Der "Signalball" wird also zuerst vom Sulfat-Donor zu ASST und nachher wieder zurück an den Empfänger gespielt. Auch dieser Pingppong-Mechanismus ist innerhalb der schwefligen Signalübertragung einzigartig. Angriffspunkt gegen die "bösen" E. coli-Stämme Neue Struktur, neuer Mechanismus - das eröffnet Perspektiven, die möglicherweise auch medizinisch relevant werden könnten. Goran Malojcic, Erstautor der Studie, weist auf mehrere Aspekte hin. ASST komme nicht in Säugern vor. Dadurch eigne sich das Protein grundsätzlich als Angriffspunkt für Medikamente. Weiter sei von Vorteil, dass ASST bisher nur in krankmachenden E. coli-Bakterienstämmen gefunden wurde und in den anderen nicht. Schalte man das Protein also aus, gefährde man nicht noch andere nützliche Bakterien. Wie sich die Aktivität des Proteins beeinflussen lässt, möchte Malojcic in weiteren Studien herausfinden. So will er beispielsweise zusammen mit in-silico-Chemikern, also Forschern, die chemische Moleküle am Computer entwerfen, Hemmstoffe für ASST entwickeln. Oder er kann sich auch vorstellen, mit Hilfe von ASST neue Moleküle mit Sulfatgruppen zu synthetisieren.
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