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Publiziert am 11.02.2008 Infos zum Internetchemie RSS News Feed

Proteine grenzen den Todeszeitpunkt näher ein


 
Gerichtsmediziner haben häufig die Aufgabe, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann ein Mensch gestorben ist - nicht nur, wenn ein Verbrechen vorliegt. Das ist schwierig, wenn die Leiche erst nach längerer Zeit gefunden wird. Der Gerichtsmediziner Dr. Frank Wehner hat eine Methode entwickelt, bei der er über die Zersetzungsgeschwindigkeit von körpereigenen Proteinen den Zeitpunkt des Todes auf einige Tage genau bestimmen kann.

 

Gerichtsmediziner entwickelt Verfahren zur Bestimmung der Liegezeit von Leichen

Wenn eine Leiche gefunden wird, werden häufig Gerichtsmediziner hinzugezogen, um die Todesursache zu klären. Doch vor allem bei ungeklärten Todesfällen oder Mordopfern ist es manchmal auch wichtig, den Todeszeitpunkt möglichst genau zu bestimmen. Übliche Anhaltspunkte für die Bestimmung sind zum Beispiel die sogenannten Totenflecken, die meist etwa eine halbe Stunde nach Todeseintritt durch das Absinken des Blutes entstehen, sowie die Totenstarre, die Stunden nach dem Tod durch die Erstarrung der Muskulatur einsetzt. Doch verschwinden solche Anzeichen spätestens einige Tage nach dem Tod. Ist ein Mensch bereits länger verstorben, bevor er entdeckt wird, können vor allem Entomologen, spezialisierte Insektenforscher, bei der genaueren Bestimmung des Todeszeitpunkts helfen. Denn Leichen werden in einer überraschend festen zeitlichen Reihenfolge von bestimmten Insektenmaden besiedelt. Dr. Frank Wehner vom Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Tübingen hat daneben ein weiteres Verfahren entwickelt, mit dem sich auch bei längerer Liegezeit der Leiche in vielen Fällen noch Aussagen treffen lassen. Der Gerichtsmediziner nimmt dafür die Zersetzung von körpereigenen Proteinen zu Hilfe.

Frank Wehner hatte sich überlegt, dass er für die neue Methode Proteine auswählen musste, die im Körper möglichst vieler Menschen vorhanden sind. "Dazu zählt zum Beispiel das Insulin, das nur bei Diabetikern vom Typ I fehlt", erklärt er. Es sollten außerdem Proteine sein, die in ausreichender Menge in einem Organ vorkommen, das bei der Obduktion routinemäßig entnommen wird wie die Bauchspeicheldrüse oder die Schilddrüse. Außerdem sei es für die Entwicklung des Verfahrens einfacher gewesen, Proteine einzubeziehen, für die es bereits einen Antikörpertest gibt - Tests, wie sie zum Beispiel in der klinischen Pathologie angewandt werden. Diesen Anforderungen entspricht das Cystatin C, das in der Nebenniere des Menschen gebildet wird. Der Forscher hat mehrere Hundert Leichen untersucht, von denen der Todeszeitpunkt beziehungsweise die Liegezeit bekannt waren, auch um den Einfluss der Umgebungstemperatur auf die Zersetzungsprozesse besser einschätzen zu können. Ergänzend hat Frank Wehner Versuche mit Mäusen gemacht, die nach Tierversuchen getötet worden waren. Die hat er teilweise drinnen, teilweise draußen ausgelegt. "Bei Mäusen schreitet die Zersetzung schneller voran wegen der geringeren Körpermasse, doch die Ergebnisse waren denen von menschlichen Leichen durchaus vergleichbar", sagt er.

Danach lässt sich das Cystatin C anhand eines Schnitts aus dem Gewebe der Nebenniere bis zu zwölf Tage nach dem Tod durch eine positive Immunreaktion nachweisen. "Wenn wir eine Leiche im Wald finden und das Cystatin C noch nachweisen können, wissen wir also, dass der Mensch seit maximal zwölf Tagen tot ist", erklärt Frank Wehner. "Ist der Cystatinnachweis negativ, wissen wir, dass der Mensch seit mindestens drei Tagen oder auch deutlich länger tot ist." Das immunhistochemische Verfahren zur Bestimmung des Todeszeitpunkts werde durch Einbeziehung mehrerer Proteine genauer. Wehner und seine Kollegen haben bisher bereits bei insgesamt sieben Proteinen die Nachweiszeit in Leichen bestimmt, darunter das Glucagon, ein Gegenspieler des Insulins im Blutzuckerstoffwechsel, und Schilddrüsenhormone.

"Der Todeszeitpunkt lässt sich mit dem immunhistochemischen Verfahren bei länger liegenden Leichen auf zwei bis drei Tage eingrenzen", sagt Wehner. Sie komme durchaus auch bei Tötungsdelikten zum Einsatz, zum Beispiel wenn eine teilweise verweste Leiche gefunden wird, die Schuss- oder Stichverletzungen aufweist. Für die weiteren Ermittlungen sei es oft wichtig, wann der Mensch getötet wurde. Mörder seien in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle nicht so clever, dass sie solche Methoden wie die Proteinnachweise in ihre Planungen einbezögen oder die Gerichtsmediziner austricksten. "In der Regel handelt es sich bei Morden um Beziehungstaten mit Motiven wie Liebe, Hass, verlassene Liebe oder auch Geld. Solche Taten geschehen nicht so überlegt", sagt Wehner.

Dass der Gerichtsmediziner darauf gekommen ist, die Proteinanfärbung bei der Bestimmung des Todeszeitpunkts zu nutzen, liegt an einem Fall, in dem Insulin die Mordwaffe war. Wehner wollte einem Arzt nachweisen, dass dieser seine Eltern umgebracht hatte. "Viele Leute vergessen, dass ein Arzt häufig auch andere Mittel zur Verfügung hat, wenn er andere Menschen töten will", sagt er. "Und eine Insulinvergiftung ist prinzipiell schwer nachzuweisen." Die Leichen von den Eltern des Arztes wiesen Einstichstellen von Spritzen auf. Er behauptete, dass er ihnen Morphin als Schmerzmittel gegeben habe. Dies ließ sich jedoch in den Leichen nicht nachweisen, hingegen aber eine große Menge Insulin, unter anderem an der Einstichstelle. Damit war der Arzt als Mörder seiner Eltern überführt. Unter Wehners Wissenschaftlerkollegen kam dann die Frage auf, wie lange nach dem Tod eigentlich noch Insulin im Körper zu finden ist. "Damit war die Neugierde geweckt und die grundsätzliche Idee geboren", erzählt Wehner.

Wie bei anderen Verfahren auch, gibt es Einschränkungen bei der Anwendung des immunhistochemischen Verfahrens. "Zum Beispiel fallen Leichen, die in der Tiefkühltruhe aufbewahrt wurden, heraus." Das hat der Forscher an Gletscherleichen überprüft, die ein bis zwei Jahre im Eis lagen - da waren die Proteine noch vorhanden. "Die Tiefkühlung stoppt die abbauenden Prozesse." In einer Sauna hingegen würden die Abbauprozesse viel schneller als normal ablaufen, auch das wäre ein Ausschlusskriterium. Doch sei auch eine etablierte Methode wie die Bestimmung der Insekten, die eine Leiche besiedeln, nicht immer anwendbar: "Ohne Fliege, die ihre Eier in die Leiche legt, gibt es auch keine Made. Manche Wohnungen sind so sauber, dass keine Maden zu finden sind - das kommt nicht so häufig vor, aber immerhin." Nun könne das eine Verfahren das andere bei längeren Leichenliegezeiten ergänzen, sagt Wehner.

"Ich hatte einen aktuellen Fall, in dem das immunhistochemische Verfahren mit Gewinn angewandt wurde", erzählt er: An einem 30. März holte ein Mann einen Schlüssel vom Vermieter, um in seine neue Wohnung einzuziehen. Wenig später, am siebten April, wurde er tot aufgefunden, seine Leiche befand sich dann in einem Zustand fortgeschrittener Fäulnis. Der genaue Todeszeitpunkt war nicht bekannt. Der Verstorbene hatte eine Großmutter, die am vierten April verstarb, sowie einen Bruder. "Erbrechtlich war der Fall hochbrisant, weil die Großmutter ein schönes Villengrundstück, ein Millionenerbe, zu vermachen hatte", erklärt der Gerichtsmediziner. Nun gab es zwei Möglichkeiten: Wenn die Großmutter vor ihrem Enkel gestorben war, hätte ihr Erbe gleichmäßig auf ihre beiden Enkel verteilt werden müssen. Das kurz darauf anzutretende Erbe des Mannes wäre nicht unbedingt an seinen Bruder, sondern an dessen Erben, zum Beispiel seine Kinder, gegangen. Im zweiten Fall aber, in dem der Mann zuerst gestorben wäre, wäre sein Bruder der Alleinerbe des großmütterlichen Villengrundstücks und Vermögens geworden. "Das neue Verfahren ergab nun, dass der Mann spätestens am ersten April gestorben sein musste", sagt Wehner. So hat wohl der Bruder des Mannes das große Erbe allein angetreten.

 

Quellen und Artikel:

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Quelle: Institut für Gerichtliche Medizin; Universität Tübingen

 

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