Präbiotische Chemie
Eine von vielen Optionen, wie das Leben entstanden sein könnte, ist
die Entstehung komplexer Biomoleküle auf rein chemischem Wege, also
ohne Rückgriff auf ausgereifte biologische Synthesemaschinen wie das
Ribosom. Entsprechende Spekulationen gehen auf Darwin selbst zurück,
der in einem Brief an einen befreundeten Botaniker im Jahr 1871
entsprechende Vermutungen geäußert haben soll. ("But if (and Oh! what
a big if!) we could conceive in some warm little pond, with all sorts
of ammonia and phosphoric salts, light, heat, electricity, etc.,
present, that a protein compound was chemically formed ready to
undergo still more complex changes, ..."). "Wir haben uns also
gefragt: Wäre es tatsächlich möglich, dass sich in präbiotischer Zeit
Proteine einfach spontan gebildet haben?", erklärt Prof. Marx den
Ausgangspunkt der Untersuchung, "und wenn ja, wie genau haben sie das
getan?"
Glyzin (links), aktiviertes Glyzin (Mitte) und
GG Dipeptid (rechts) an der Grenzfläche von Pyrit zu Wasser und
Extrembedingungen.
Copyright: E. Scheiner, N.N. Nair, und D. Marx (RUB) |
Eisen-Schwefel-Welt Szenario
Grundlage der aktuellen Studie ist einer der kontrovers diskutierten
Vorschläge, das so genannte "Eisen-Schwefel-Welt"-Szenario, das der
Chemiker Günter Wächterhäuser seit Mitte der 1980iger Jahre
detailliert ausgearbeitet hat und seither der wissenschaftlichen
Überprüfung preisgibt. Komponenten dieser Hypothese sind einerseits
Oberflächen von Eisen-Schwefel-Mineralien und andererseits hohe
Temperaturen und hoher Druck des Wassers als Medium, in dem die
Synthese von Peptiden in einem "Peptidzyklus" ablaufen soll. "Nun ist
es natürlich ungemein schwierig, solche Reaktionen bei mehreren
hundert Grad und Bar kontrolliert durchzuführen, um die Auswirkung
dieser exotischen Reaktionsbedingungen studieren zu können", gibt Dr.
Nisanth Nair aus der Arbeitsgruppe Marx zu bedenken. Deshalb verlegten
die Chemiker das Experiment ins Virtuelle Labor. Mit modernsten
Simulationsmethoden ist es möglich, diese Extrembedingungen nicht nur
herzustellen, sondern auch Eins zu Eins mit normalen
Reaktionsbedingungen zu vergleichen. "Wir haben unsere kleine Probe
zuzusagen im Computer einfach erhitzt, zusammengedrückt und geschaut
was sich verändert!", verdeutlicht Erstautor Dr. Eduard Schreiner.
Der Schlüssel: Wasser bei Extrembedingungen
"Überraschenderweise konnten wir feststellen, dass die für die
Biochemie doch recht unüblichen Wächterhäuserschen
Reaktionsbedingungen die Bildung von Peptidbindungen in der Tat
beschleunigen", beschreibt Professor Marx die Ergebnisse. Bedeutsam
sei besonders, dass Wasser bei diesen exotischen Bedingungen völlig
andere Eigenschaften hat als flüssiges Wasser etwa in der
Wasserleitung, und genau das werde im Computer gut nachgestellt. "Der
Aufwand dieser Studie war allerdings exorbitant, denn wir mussten fast
zehn einzelne Reaktionsschritte sowie deren Rückreaktionen unter drei
verschiedenen Reaktionsbedingungen simulieren, um nach vielen
Fehlschlägen den Peptidzyklus zu knacken", erzählt Eduard Schreiner,
der sich damit seinen Doktorhut verdient hat.
Nur mit gigantischen Rechenmaschinen zum Erfolg
"Mit diesem Rechenaufwand stellt die nun publizierte Untersuchung wohl
einen neuen Weltrekord auf dem Gebiet der ab initio Molekulardynamik
auf", berichtet Professor Marx nicht ohne Stolz. Möglich geworden ist
das erst durch ausgiebige Nutzung eines IBM Blue Gene Parallelrechners
am John von Neumann-Institut für Computing in Jülich. "Interessant ist
in diesem Zusammenhang auch Darwins Bemerkung 'It is mere rubbish
thinking at present of the origin of life; one might as well think of
the origin of matter', fügt Marx hinzu, "denn genau solche
Untersuchungen werden heute auf dem gleichem Supercomputer von
Kollegen aus der Physik durchgeführt!"
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