Dazu haben die Forscher sämtliche Eiweiße, aus denen der Augenfleck
aufgebaut ist, isoliert und deren Struktur und Zusammensetzung
analysiert. Über 200 Eiweiße konnten sie identifizieren und ihre
Modifikationen im Augenfleck der Algen bestimmen. "Der Augenfleck
befindet sich am Rande des Chloroplasten der Algenzelle", so Mittag.
"Doch anders als dieser enthält der Augenfleck nur wenig des grünen
Farbstoffs Chlorophyll", sagt die Botanikerin. Stattdessen enthält
dieser große Mengen an Karotinoiden - orangefarbigen Pigmenten.
"Interessanterweise besitzt dieser primitive Augenfleck auch Eiweiße,
welche in den Augen von Tieren und vom Menschen vorkommen", sagt Prof.
Mittag und nennt als Beispiel ein Eiweiß mit Namen "SOUL-Häm-Bindeprotein".
Hinweise darauf sind auch in der Netzhaut im Auge höherer Organismen
zu finden. Ebenso sind diese auch in der Zirbeldrüse enthalten, jenem
Organ im Gehirn, das bei Menschen und Tieren an der Steuerung des
Tag-Nacht-Rhythmus beteiligt ist. Diese Ähnlichkeiten sind kein
Zufall. "Ganz ähnlich wie Auge und Zirbeldrüse bei Säugern oder uns
Menschen, steuert der Augenfleck die Lichtwahrnehmung und könnte somit
an der Synchronisation des Tag-Nacht-Rhythmus' der Algen beteiligt
sein", erläutert Prof. Mittag.
Außerdem fanden die Forscher, dass die Modifikationen sogenannter
Rhodopsine im Augenfleck der Algen konserviert sind. Diese Moleküle
sind als Lichtrezeptoren auch in den Augen von Wirbeltieren mit diesen
Modifikationen zu finden. "Das lässt darauf schließen, dass der
Lichtsignalweg bei den Grünalgen und Wirbeltieren nach ähnlichen
Mechanismen gesteuert wird", macht Prof. Mittag deutlich. Auch
hinsichtlich der übrigen Eiweiße unterscheidet sich der Augenfleck
deutlich von den übrigen Zellstrukturen der Algen. So finden sich
viele Eiweiß-Bausteine, die wasserabweisende Eigenschaften besitzen.
"Das ist nicht nur wichtiges Grundlagenwissen für uns Botaniker",
ordnet Prof. Mittag die aktuellen Forschungsergebnisse ein. "Vielmehr
lassen sich daran auch entwicklungsbiologische Prozesse ableiten, etwa
wie das Auge höher entwickelter Organismen entstanden ist." Selbst
therapeutische Anwendungen seien eines Tages denkbar. Versuche aus
anderen Labors, ein Algen-Rhodopsin in andere Organismen zu
übertragen, zeigten bereits Erfolge. So kann dieses Eiweiß
Nervenzellen in damit behandelten Fadenwürmern stimulieren und bei
diesen Lichtreaktionen auslösen bzw. bei blinden Mäusen partielles
Sehen vermitteln.
Für ihre Forschung nutzten die Jenaer Botaniker eine
Massenspektrometrie-Anlage im Wert von einer halben Million Euro. Die
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat diese Anlage im Rahmen der
Förderung einer deutschlandweiten Forschergruppe zu Chlamydomonas
reinhardtii finanziert. Seit 2003 koordiniert Prof. Mittag diese
Gruppe, die den Organismus intensiv untersucht. Wissenschaftler der
DFG-Forschergruppe haben sich auch am internationalen Einsatz zur
Annotierung des Genoms von Chlamydomonas reinhardtii beteiligt, das
2007 im renommierten Journal "Science" veröffentlicht worden ist.
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