Seit 1967 ist die Sekunde als grundlegende Zeiteinheit über die Strahlungsfrequenz definiert, die dem Übergang zwischen zwei quantenmechanischen Zuständen des Cäsium-Nuklids CS-133 entspricht. Das dieser Definition zugrunde liegende Messprinzip wird in Atomuhren für die Zeitbestimmung genutzt, unter anderem auch von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Als nationales Institut für Metrologie ist diese Einrichtung zuständig für die Festlegung und Kontrolle der Maßeinheiten. Das dort erzeugte Zeitsignal dient Millionen von Funkuhren als Quelle für die offizielle Uhrzeit. Die derzeit besten Atomuhren geben die Zeit sogar so genau an, dass sie 30 Millionen Jahre laufen müssten, bis sich ein Gangfehler von einer Sekunde ergeben würde. Anders ist dies bei der Stromeinheit Ampere: Deren Standard liegt kein quantenmechanischer Effekt zugrunde, sondern eine aus dem Jahr 1948 stammende Definition. Demnach entspricht einem Ampere die Stromstärke, die durch zwei im Abstand von einem Meter parallel im Vakuum verlaufende unendlich lange Drähte vom vernachlässigbaren Querschnitt fließt und zwischen diesen eine Kraft von 200 Milliardstel Netwon hervorrufen würde. Diese Bedingungen sind in der Praxis nicht mit der heutzutage benötigten Genauigkeit umzusetzen und finden aus diesem Grunde keine Anwendung mehr. Damit besteht der Bedarf für eine neue und genauer zu realisierende Definition. Denkbar wäre das einfache Abzählen von Elektronen, weil elektrischer Strom physikalisch gesehen nichts anderes ist als transportierte Ladung pro Zeit. Ein Ampere könnte damit durch die Anzahl von Elektronen definiert werden, die in einer festgelegten Zeitspanne transportiert werden. Einen neuen Weg zur Realisierung eines derart hochpräzisen Stromstandards, der auf dem Transport einzelner Elektronen basiert, beschreitet der Physiker Daniel König. Ihm ist gelungen, eine Nanofähre für Elektronen zu konstruieren, die genau dies bewerkstelligen könnte. Die Nanofähre besteht aus einer Goldinsel mit einem Durchmesser von etwa 100 Nanometern, also etwa dem fünfhundertsten Teil einer Haaresbreite. Die Insel sitzt im Zentrum eines dünnen gespannten Drahtes aus Siliziumnitrid. Wird der Draht ähnlich wie eine Violinsaite zum Schwingen gebracht, bewegt sich die Insel zwischen zwei seitlich angebrachten elektrischen Kontakten hin und her. Auf diese Weise können Elektronen mechanisch von einem Kontakt zum anderen transportiert werden, sobald zwischen den Kontakten eine elektrische Spannung anliegt. Die Insel lädt dabei an dem negativ geladenen Kontakt Elektronen auf und schwingt sich zum positiv geladenen Kontakt, an dem die Elektronen abgeladen werden. Die Anzahl der mit einer Schwingung transportierten Elektronen hängt vor allem von der Höhe der angelegten Spannung zwischen den Kontakten ab. Misst man den Strom in Abhängigkeit von der Spannung, ergibt sich im Idealfall eine treppenförmige Messkurve. Dabei wird ausgenutzt, dass sich Elektronen aufgrund ihrer gleichen Ladung gegenseitig abstoßen. Die auf die Insel gelangten Elektronen verhindern durch diese Abstoßungskraft, dass weitere Elektronen folgen können. Jede Stufe entspricht somit der Erhöhung der pro Schwingung transportierten Ladung um ein Elektron. Damit lässt sich die Anzahl der pro Schwingung beförderten Elektronen durch einfaches Stufen-Zählen ermitteln. Dieser sogenannten Coulombblockade sind die Münchner Forscher nun einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Sie konnten eine Strom-Spannungs-Kennlinie beobachten, wie sie aufgrund theoretischer Modelle erwartet wird. Allerdings zeigt sie noch keine Stufen, da momentan durch thermische Energieschwankungen eine variable Anzahl von Elektronen pro Schwingung transportiert wird. Für die Realisierung eines Stromstandards muss jedoch die Anzahl der Inselelektronen immer exakt gleich sein. Dies soll nun durch eine weitere Reduzierung der Temperatur und der damit verbundenen Energieschwankungen sowie durch eine zusätzliche Verkleinerung der Goldinsel in den Münchner Labors erreicht werden. Langfristig ist bei einer hinreichenden Miniaturisierung der Insel denkbar, Elektronen selbst bei Raumtemperatur zählen zu können. Dies könnte von hoher Relevanz im Bereich hochempfindlicher Sensorik sein. Ebenfalls möglich wäre dann, die Nanofähre in Messgeräte zu integrieren und als internen Kalibrierungsstandard zu nutzen. Das Potential für mögliche Anwendungen ist groß, so dass die technische Innovation von der LMU in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Patentallianz zum Patent angemeldet wurde. Die Forschungsergebnisse öffnen darüber hinaus ebenfalls neue Wege in der Grundlagenforschung. So könnte die Nanofähre im Prinzip dazu genutzt werden, die Genauigkeit von Naturkonstanten zu überprüfen. Die in "Nature Nanotechnology" vorgestellten Arbeiten entstanden im Rahmen des Exzellenzclusters "Nanosystems Initiative Munich" (NIM), das es sich zum Ziel gesetzt hat, funktionale Nanostrukturen für Anwendungen in der Informationsverarbeitung und in der Medizin zu entwickeln, zu erforschen und zur Einsatzreife zu bringen.
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