|
Der in Nordamerika vorkommende Wilde Tabak (Nicotiana attenuata) gehört mit zu den ökologisch am besten charakterisierten Pflanzenarten. Diese Aufnahme entstand 2006 im Bundesstaat Utah, USA. Bild: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie/Baldwin
|
Kleine 18 bis 26 Nukleotide lange RNA-Abschnitte, von den Wissenschaftlern "small RNAs" (smRNAs) genannt, spielen in Organismen ganz verschiedene Rollen. Für Pflanzen besonders wichtig ist ihre Funktion bei der Abwehr von Viren. Mittels RNA-Interferenz können diese kleinen Moleküle bestimmte Gene quasi stumm schalten, indem sie an die komplementäre Basensequenz der Boten-RNA binden und somit deren Übersetzung in das Protein verhindern. Durch diese Interaktion können kleine RNAs den Ablauf ganzer Signalketten verändern. Die small RNAs entstehen dabei aus doppelsträngigen RNA-Vorläufermolekülen, die von bestimmten Enzymen, sogenannten RNA-Polymerasen (RdRs) hergestellt werden. Gene, die für diese Art von Enzymen kodieren und RNA-Interferenz somit erst ermöglichen, haben Wissenschaftler bereits in mehreren Pflanzenspezies identifiziert. Shree Pandey und Ian Baldwin wollten feststellen, ob RNA-Interferenz in Pflanzen bei der Abwehr von Fraßfeinden eine Rolle spielt und untersuchten dazu die entsprechenden RNA-Polymerasen aus Wildem Tabak (Nicotiana attenuata). Die chemischen Inhaltsstoffe von Raupenspeichel signalisieren den Pflanzen Schädlingsbefall. Bereits eine Stunde nach der Induktion von Pflanzen mit Raupenspeichel konnten die Pflanzenforscher eine um den Faktor zehn erhöhte Aktivität von einem der drei gefundenen Gene, die für RNA-Polymerasen kodieren, feststellen. Gentechnisch veränderte Pflanzen, in denen die Aktivität dieses RdR1-Gens abgeschaltet war, waren gegen Insektenbefall nahezu wehrlos. Im Freiland wurden diese Pflanzen besonders stark befallen von ihren beiden natürlichen Fraßfeinden, dem Amerikanischen Tabakschwärmer Manduca sexta und der Blattwanze Tupiocoris notatus (Plant Journal, 2007). "Das bedeutet, dass RdR1 entscheidend zur Abwehr in Pflanzen nach Insektenbefall beiträgt", erklärt Ian Baldwin, Direktor am Max-Planck-Institut in Jena. Und wenn das Enzym in Aktion tritt, heißt das, dass auch small RNAs in die Regulation der Pflanzenabwehr eingebunden sein müssen. Nächstes Ziel der Forscher war daher, diese kleinen RNA-Moleküle in befallenen bzw. nicht befallenen Tabakpflanzen aufzufinden, ihre Sequenz zu bestimmen und nachzusehen, wie sie in die Abwehr der Pflanzen gegen Insektenfraß eingreifen. Die Wissenschaftler sequenzierten mehr als 100.000 verschiedene smRNAs, die sie zuvor aus befallenen und nicht-befallenen Pflanzen isoliert hatten. Das Ergebnis: 43 Prozent der smRNAs, die sie in attackierten Pflanzen fanden, waren in den "gesunden" Pflanzen nicht vorhanden. Lediglich 1224 smRNAs tauchten in beiden Pflanzengruppen auf, allerdings in unterschiedlichen Mengen. "Das Auftreten der vielen neuartigen smRNAs nach Raupenbefall korreliert direkt mit dem rund zehnfachen Anstieg der Expression des RdR1-Gens in attackierten Pflanzen", erklärt Shree Pandey. Das heißt, dass die RdR1-Polymerase ganz offenbar an der Erzeugung dieser smRNAs beteiligt ist. Und was genau machen nun diese kleinen Helfer im Genom? Eine bioinformatische Analyse der gefundenen smRNA-Sequenzen zeigte, dass ein Teil von ihnen direkt jene Gene beeinflusst, die die Enzyme des Pflanzenhormonstoffwechsels steuern. Eine besondere Rolle spielt hier das Jasmonat. Dieser Signalstoff reguliert die Abwehr von Pflanzen gegen Insektenfraß. In transgenen Pflanzen, in denen das RdR1-Gen abgeschaltet war, waren eine Reihe von Jasmonatstoffwechsel-Genen "herunterreguliert" - mit dem Ergebnis, dass diese Pflanzen vergleichsweise stark von Fraßschädlingen befallen wurden (Plant Journal, 2007). Die Tatsache, dass bei Fehlen der kleinen RNA-Moleküle bestimmte Gene in ihrer Aktivität herunter reguliert werden, lässt die Max-Planck-Forscher vermuten, dass durch RNA-Interferenz Signalwege nicht nur abgeschaltet, sondern auch eingeschaltet werden können - ein eher ungewöhnlicher Effekt, der jedoch auch schon von Humanbiologen für den Menschen beschrieben wurde. Doch auch alternative Mechanismen seien denkbar, so Baldwin. Deshalb wollen die Forscher noch einen weiteren potenziellen Effekt der kleinen RNA-Moleküle, die Tabak nach Insektenbefall bildet, näher untersuchen: Raupen können nämlich Vorläufermoleküle für smRNAs, die doppelsträngige RNA, mit ihrer Blattnahrung aufnehmen. Diese Moleküle, zu smRNAs zerlegt, schalten dann durch RNA-Interferenz spezielle Insekten-Gene ab, gegen die sie gerichtet sind. "Wir vermuten deshalb, dass small RNAs direkt den Raupenfraß bekämpfen, indem sie Verdauungs- oder Entgiftungsgene im Tier stilllegen", sagt Baldwin. Eine ganz schön trickreiche Angelegenheit. [JWK/CB]
|