In der Schweiz verletzen sich jährlich etwa zweihundert Menschen am Rückenmark. Sie müssen mit einer plötzlich stark veränderten Lebenssituation zurechtkommen, da es zurzeit neben der physiotherapeutischen Rehabilitation keine wirkungsvolle Therapie für Querschnittgelähmte gibt. Regeneration von Nerven Ist das Nervensystem des Menschen erst einmal ausgebildet, gibt es genetisch festgelegte Mechanismen, die ein weiteres Wachstum der Nerven verhindern. Wird ein peripherer Nerv jedoch verletzt, können Nervenfasern spontan nachwachsen. Für diese Regeneration sind wachstumsfördernde Faktoren verantwortlich, die von der Myelinschicht beigesteuert werden, welche die Nerven umhüllt. Auch nach einer Verletzung im Zentralnervensystem versuchen die Nervenfasern nachzuwachsen. Es bilden sich winzige Fortsätze, die allerdings nicht einmal Millimeterlänge erreichen. Dies liegt daran, dass das Myelin des Zentralnervensystems im Gegensatz zum Myelin des peripheren Nervensystems Faktoren enthält, die das Nervenwachstum hemmen. Einige der dafür verantwortlichen Inhibitorproteine wie Nogo-A oder das Myelin-assoziierte Glycoprotein (MAG) sind heute bekannt. Für MAG konnte gezeigt werden, dass Interaktionen mit Glykanstrukturen für den hemmenden Effekt verantwortlich sind. Glykanstrukturen nachahmen Die Arbeitsgruppe von Prof. Beat Ernst am Departement Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Basel erforscht die Rolle von hoch komplexen Zuckermolekülen, so genannten Glykanen. Wechselwirkungen zwischen Glykanen und Proteinen beeinflussen zahlreiche biologische Prozesse von der Entstehung des Embryos, über die Wundheilung bis hin zu Autoimmunerkrankungen. Glykanstrukturen sind aber aufgrund ihrer unzureichenden pharmakokinetischen Eigenschaften therapeutisch nur bedingt einsetzbar. Ein Ziel der Arbeitsgruppe ist deshalb, Glykomimetika zu entwickeln, d.h. Verbindungen, welche die Glykanstruktur nachahmen, aber strukturell weniger komplex und für den therapeutischen Einsatz geeignet sind. Diesen Ansatz verfolgten Prof. Beat Ernst und Dr. Oliver Schwardt mit ihren Mitarbeitern in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Bremen bei der vorliegenden Studie. Ausgehend vom aktivsten Liganden für MAG, dem Gangliosid GQ1balpha, gelang es ihnen Glykomimetika zu entwickeln, deren Bindungsaffinität bis zu 400 Mal stärker als die des natürlichen Liganden ist. Da Ligand und Inhibitor gleichzeitig um dieselbe Bindungsstelle konkurrieren, könnte durch die höhere Bindungsaffinität des Liganden der hemmende Effekt blockiert werden, der vom MAG-Inhibitorprotein auf das Nervenwachstum ausgeht. Mit den neu identifizierten Verbindungen wird es jetzt möglich, die Rolle von MAG bei der Regeneration von Nervenverletzungen genauer zu untersuchen.
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