„Die DNA ist nur ein Speichermedium und für sich genommen eher langweilig", sagt Cramer. „Die Gene sind eigentlich stumm. Sie müssen zum Sprechen gebracht werden." Das ermöglicht ein Kopiervorgang, die Transkription durch RNA-Polymerase II, kurz Pol II. Dieser Enzymkomplex kopiert Gene und übersetzt sie in RNA, eine dem Erbmolekül verwandte Nukleinsäure. Dabei entsteht der Botenstoff mRNA, der die genetische Information aus dem Zellkern trägt, sodass sie in das entsprechende Protein umgesetzt werden kann.
Wie Pol II ein Gen kopiert, ist seit Längerem bekannt. Unklar war aber, wie das Enzym den Beginn eines Gens findet und die Startstelle der Transkription festlegt. Dabei konnte bereits Mitte der 90er Jahre gezeigt werden, wie der Beginn von Genen in der Zelle markiert wird. Dazu bindet der Faktor TBP an die sogenannte „TATA-Box", eine definierte Stelle in der DNA vor der Startstelle der Transkription. Der Transkriptions-Faktor B bringt nun die Polymerase an die Startstelle, indem er eine Brücke zwischen TBP und Polymerase baut. „Wie diese Brücke aussieht und wie der Faktor B die Transkription am rechten Ort beginnen lässt, blieb unbekannt", berichtet Cramer. „Wir konnten nun aber aufklären, wie die dreidimensionale molekulare Struktur der Polymerase im Komplex mit B aussieht." Methodische Grundlage der Studien ist die extrem aufwändige Röntgenstrukturanalyse. Dabei müssen große Mengen des gesuchten Moleküls oder Molekülkomplexes als Kristall gezüchtet werden. Dessen regelmäßige Gitterstruktur kann intensive Röntgenstrahlung in ein charakteristisches Muster beugen – was rechnergestützt die molekulare Struktur des Moleküls oder des Komplexes ableiten lässt. Diese Methode wurde auch bei den Arbeiten zur Aufklärung der Proteinfabriken eingesetzt, die diese Woche mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurden. Cramer und seinen Mitarbeitern gelang es immer wieder, große und instabile Molekülkomplexe zu präparieren und durch Kristallisation erstmals einer Strukturanalyse zugänglich zu machen. Auch die dreidimensionale atomare Struktur der Pol II in verschiedenen Aktivitäts-Zuständen gehörte dazu. „Für die Transkription in lebenden Zellen sind neben der Pol II noch Dutzende weiterer Faktoren mit spezifischer Funktion nötig", berichtet Cramer. „Sie binden meist nur kurz und schwach an das Enzym, was den Komplex instabil macht und eine Strukturuntersuchung meist vereitelt." Durch einen Trick gelang es dem Team aber in diesem Fall, den Komplex zusammenzuhalten und seine Struktur zu bestimmen. Ausgehend von der dreidimensionalen Struktur der Polymerase im Komplex mit dem Brückenfaktor B konnten die Forscher modellieren, wie das Enzym an den Beginn eines Gens gebracht wird und wie es die Startstelle der Transkription findet. In einer sehr fruchtbaren Kollaboration mit der Arbeitsgruppe um Professor Michael Thomm an der Universität Regensburg konnten die Forscher dann zeigen, wie der Prozess abläuft. Ein Teil des Faktors B hilft bei der Öffnung der DNA-Doppelhelix, was die Startstelle zugänglich macht. Danach wird die geöffnete DNA durch den Polymerase-B-Komplex gescannt, um die Startstelle zu finden und die Transkription zu beginnen. Für das Scannen ist ein separater Teil des Faktors B nötig. Dieser liest auf der Suche nach dem Start-Signal den vorbeilaufenden DNA-Faden wie ein Lesekopf in einem Tonbandgerät. Diese Ergebnisse fügen sich zu einem Modell für den Ablauf der sehr komplizierten Transkriptions-Initiation in sechs Schritten zusammen. Sie liefern aber auch denkbare Szenarien zur Funktion molekularer Schalter, die Gene bei Bedarf aktivieren. „Solche Genschalter liegen der Entwicklung und dem Erhalt von Organismen zugrunde", sagt Cramer. „Nach diesem Durchbruch wird man sie in den nächsten Jahren gezielt erforschen können." Gerade die Aussicht, eines Tages zu verstehen, wie Gene angeschaltet werden, wenn Sie im Organismus gebraucht werden, macht die Arbeit zu einem Meilenstein in einem aktuellen Forschungsfeld.
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