Nature würdigt die Ergebnisse als "Research Highlight".
Eine der großen Herausforderungen der Ära nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist die Beantwortung der Frage, wie die DNA in der Zelle organisiert ist und zum "Auslesen" der Erbinformation genutzt wird. Dies würde eine ganze Bandbreite von neuen Anwendungsgebieten und Forschungsfeldern schaffen. So wäre es beispielsweise möglich, auf dieser Grundlage die Entstehung von Erbkrankheiten besser zu verstehen und entsprechend zu reagieren. Schon seit einiger Zeit wird vermutet, dass die menschliche DNA nach einem bestimmten Muster in der Zelle strukturiert ist. Man weiß, dass die jeweils im Zellkern vorliegende DNA einerseits aus kodierenden und andererseits aus nicht-kodierenden Abschnitten besteht. Ungefähr 98 Prozent der zellulären DNA ist nicht-kodierend, enthält also keine Information für die Synthese von Proteinen. Diese Genabschnitte wurden bislang zumeist als "Müll" ohne nennenswerte Funktion betrachtet.
Einem internationalen Forscherteam, an dem neben einer Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Gernot Längst und Dr. Attila Németh vom Institut für Biochemie, Genetik und Mikrobiologie der Universität Regensburg auch Wissenschaftler aus München und dem spanischen Valencia beteiligt waren, gelang es nun durch eine bahnbrechende Arbeit, der nicht-kodierenden DNA eine wichtige Funktion innerhalb des DNA-Netzwerks zuzuweisen. Über die Untersuchung des sogenannten Nucleolus, des Kernkörperchens der Zellen, konnten die Forscher einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Organisationsprinzips des menschlichen Genoms leisten.
Der Nucleolus befindet sich innerhalb des Zellkerns (Nucleus). Er lässt sich vom Rest des Zellkerns funktionell abgrenzen, verfügt jedoch über keine eigene Membran. Der Nucleolus ist vor allen Dingen in seiner Rolle als Ribosomen-Fabrik der Zellen bekannt. Jüngere Studien weisen aber darauf hin, dass er darüber hinaus noch andere Funktionen hat. So ist der Nucleolus auch an der Stressregulation, Virusprozessierung oder bei Alterungsprozessen beteiligt.
Schema der mit dem Nucleolus verbundenen DNA auf dem menschlichen Chromosom 19. [Quelle: Universität Regensburg] |
Trotz seiner dem entsprechend großen Bedeutung für die Vorgänge auf zellulärer Ebene war das Wissen um den Aufbau und die Selbst-Organisation des Nucleolus bislang sehr begrenzt. Das internationale Forscherteam unter der Leitung der Regensburger Biologen konnte eine detaillierte Genomkarte der nucleolären DNA erstellen und somit erstmalig das funktionelle Genom eines Zellkern-Organells identifizieren. Weiterhin wurden die DNA-Elemente charakterisiert, die die dreidimensionale Struktur des Nucleolus organisieren. Die Wissenschaftler nutzten hierfür die neuen Methoden der Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung und kombinierten diese mit DNA-Microarray-Experimenten und hochauflösender dreidimensionaler Mikroskopie. Durch die Kombination der Einzelergebnisse der Experimente stellten sie fest, dass spezifische nicht-kodierende Genomabschnitte (spezielle alpha-Satelliten Sequenzen) für den Zusammenbau dieser funktionellen Einheit des Zellkerns verantwortlich sind.
In diesem Zusammenhang wurden ebenfalls mehrere Tausend Gene und nicht-kodierende DNA-Sequenzen identifiziert. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass etwa vier Prozent des menschlichen Genoms stabil mit dem Nucleolus verbunden sind. Die Arbeiten des Forscherteams zeigten zudem, dass die Struktur des Nucleolus nicht zufällig, sondern auf dessen konkrete Funktionen in der Zelle bzw. im Zellkern ausgerichtet ist. Die nicht-kodierende DNA spiele, so die Forscher, in diesem DNA-Netzwerk eine entscheidende Rolle.
Schema der über das Genom verteilten Nucleolus-assoziierten DNA, die im Zellkern an einem Ort zusammenkommt, um die dreidimensionale Struktur des Nucleolus zu bilden. [Quelle: Universität Regensburg] |
Die Studien konnten so erstmals einen "Schnappschuss" der Architektur des Nucleolus und dessen Funktion in zwei unterschiedlichen menschlichen Zelltypen liefern, der auf ein spezifisches Organisationsprinzip des menschlichen Genoms verweist. Nach Aussage der Forscher sind allerdings weitere Analysen - auch das Einbeziehen weiterer menschlicher Zelltypen - notwendig. So kann zum einen der Aufbau bzw. die Struktur des Nucleolus während Entwicklungsprozessen und in unterschiedlichen Phasen des Zellzykluses vollständig erfasst werden. Zum anderen soll durch die Analyse der Nucleolus-Genomik verschiedener Organismen geklärt werden, ob das identifizierte Organisationsprinzip des menschlichen Genoms allgemein gilt und sogar evolutionär konserviert ist.
Die Ergebnisse des internationalen Forscherteams wurden in dem renommierten Open-Access-Journal "Plos Genetics" veröffentlicht. Die Zeitschrift "Nature" würdigte die Arbeiten der Wissenschaftler darüber hinaus als "Research Highlight". Prof. Längst ist Leiter der Internationalen Graduiertenschule für Lebenswissenschaften (RIGeL) der Universität Regensburg. Nach einer Anschubfinanzierung durch die Universität wurde das Forschungsprojekt auch durch das Bayerische Genforschungsnetzwerk BayGene gefördert.
Zusatzinformationen:
Attila Nemeth, Ana Conesa, Javier Santoyo-Lopez, Ignacio Medina, David Montaner, Balint Peterfia, Irina Solovei, Thomas Cremer, Joaquin Dopazo, Gernot Längst:
Initial Genomics of the Human Nucleolus.
In: Plos Genetics; 6(3): e1000889, März 2010, DOI 10.1371/journal.pgen.1000889
NN:
Genomics: DNA packaging unravelled.
In: Nature; 464, 652, April 2010, DOI 10.1038/464652b
Quelle: Universität Regensburg
Aktualisiert am 14.04.2010.
Permalink: https://www.internetchemie.info/news/2010/apr10/organisationsprinzip-des-menschlichen-genoms-identifiziert.php
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