Magnetit (oder Fe3O4) ist im Grunde eine spezielle Form von Rost - eine regelmäßige Anordnung von Sauerstoff und Eisenatomen. Doch dieses Material spielt eine immer größere technologische Rolle, in Katalysatoren, elektronischen Bauteilen und für medizinische Anwendungen.
Eigentlich dachte man schon lange, die atomare Struktur der Magnetit-Oberfläche sei bestens bekannt. Wie Forschungen an der TU Wien nun aber zeigten, lag man damit falsch. Die Eigenschaften von Magnetit werden ganz wesentlich davon bestimmt, dass in der vorletzten Atomschicht, gleich unter der Oberfläche, einzelne Eisenatome fehlen. "Es stellt sich heraus, dass die Oberfläche von Fe3O4 eigentlich gar kein Fe3O4 ist, sondern eher Fe11O16", sagt Prof. Ulrike Diebold, die Leiterin der Metalloxid-Forschungsgruppe an der TU Wien. Die neuen Erkenntnisse wurden nun im Journal 'Science' publiziert [siehe Literatur-Hinweis unten].
Das Material, das sich einfach nicht benehmen will
Eine der erstaunlichsten Eigenschaften der Magnetit-Oberfläche ist, dass man auf ihr dauerhaft einzelne Atome wie Gold oder Palladium anbringen kann. Die Atome ballen sich dann nicht wie sonst zu Nanopartikeln zusammen, sondern bleiben brav an Ort und Stelle. Dieser Effekt könnte die Oberfläche zu einem extrem effizienten Katalysator für chemische Reaktionen machen - aber bisher wusste niemand, warum sich Magnetit sich so verhält. "Man hat auch festgestellt, dass Fe3O4-basierte Elektronik nie so gut funktioniert wie sie sollte", sagt Gareth Parkinson (TU Wien). "Jedes Material wechselwirkt über seine Oberfläche mit der Umwelt, es ist für uns daher entscheidend, die Struktur der Oberfläche zu verstehen und zu wissen, wie sie entsteht."
Oft werden die Eigenschaften von Metalloxiden durch fehlende Sauerstoffatome in den obersten Atomschichten bestimmt. Solche Fehlstellen können die elektronischen Eigenschaften des Materials drastisch beeinflussen. "Jeder in der Forschungscommunity denkt über fehlende Sauerstoffatome nach. Deshalb hat es eine ganze Weile gedauert, bis uns klar wurde, dass es hier in Wirklichkeit um fehlende Eisenatome geht", sagt Gareth Parkinson.
Es ist nicht der Sauerstoff, es ist das Metall
Statt einer unveränderlichen Struktur aus Metallatomen mit zusätzlich eingebautem Sauerstoff muss man Eisenoxide eher als wohldefinierte Sauerstoff-Struktur betrachten, in der sich kleine Metallatome verstecken. Direkt unterhalb der äußersten Atomschicht verändert sich die Kristallstruktur und gewisse Eisenatome fehlen.
Genau oberhalb solcher Eisen-Fehlstellen können sich andere Metallatome von außen an die Oberfläche anlagern. Die Eisen-Fehlstellen sind gleichmäßig angeordnet, dadurch ergibt sich ein regelmäßiger Abstand zwischen Gold- oder Palladiumatomen, die an der Oberfläche festgehalten werden können. Das erklärt, warum Magnetit das Zusammenballen dieser Atome zu Atomclustern verhindert.
Die Idee, ganz neu über die Kristallstruktur von Magnetit nachzudenken war gewagt, das Forschungsteam überprüfte die Theorie daher ganz besonders sorgfältig. Quantenphysikalische Simulationsrechnungen wurden auf großen Supercomputern durchgeführt um zu zeigen, dass die vorgeschlagene Struktur physikalisch tatsächlich plausibel war. Danach wurden gemeinsam mit der Universität Erlangen-Nürnberg Elektronenstreuexperimente durchgeführt.
"Indem man langsame Elektronen an Oberflächen streut, kann man messen, wie exakt die tatsächliche Kristallstruktur mit einem theoretischen Modell übereinstimmt", sagt Ulrike Diebold. Die Übereinstimmung wird mit dem sogenannten "R-Wert" gemessen. "Bei sehr genau bekannten Strukturen erhält man einen R-Wert von 0.1 oder 0.15. Bei Magnetit hatte bisher niemand einen besseren R-Wert als 0.3 erreicht, und man dachte, besser geht es dort einfach nicht." Aber die neue Magnetit-Struktur mit fehlenden Eisenatomen passt ausgezeichnet zu den experimentellen Daten - mit einem R-Wert von 0.125.
Jetzt geht"s erst richtig los
Metalloxide gelten als technologisch sehr wichtig, aber gleichzeitig als schwer zu beschreiben. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass es hier gar keinen Grund zum Pessimismus gibt. Auch Metalloxide können sehr genau modelliert werden, nur eben vielleicht nicht auf die Art, wie man auf den ersten Blick meinen könnte", sagt Gareth Parkinson. Das Forschungsteam geht davon aus, dass sich die neuen Erkenntnisse nicht nur auf Eisenoxid anwenden lassen, sondern auch auf Oxide von Kobalt, Mangan oder Nickel. Neu über deren Kristallstruktur nachzudenken könnte die Metalloxid-Forschung in vielen Bereichen beflügeln und zu neuen Anwendungen in der chemischen Katalyse, in der Elektronik oder der Medizin führen.
Das Forschungsprojekt baut Brücken zwischen Physik und Chemie. Die TU Wien hat das Doktoratskolleg Solids4fun geschaffen, um die enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich der Metall- und Oberflächenforschung zu fördern.
[Pressemitteilung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg]
Einem altbekannten Material ein modernes Rätsel entlockt
Magnetit dient bei chemischen Reaktionen oft als Katalysator. An seiner Oberfläche können andere Metallatome so gebunden werden, dass sie voneinander getrennt bleiben und sich nicht zu größeren Metallpartikeln zusammenschließen. Wissenschaftler vermuten, dass dies chemische Reaktionen besonders gut beschleunigt. Wie diese Eigenschaft zustande kommt, war bisher jedoch nicht bekannt. Wissenschaftler der Technischen Universität Wien und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben nun nachgewiesen, dass das Geheimnis in der besonderen Struktur der Eisenoxid-Oberfläche liegt.
Eisen(II,III)oxid - besser bekannt als Magnetit - ist wegen seiner magnetischen Eigenschaften bereits seit Jahrtausenden für den Menschen interessant; so konnten schon in der Antike Magnetkompasse zur Orientierung gebaut werden. Heute interessieren Wissenschaftler jedoch nicht mehr so sehr die magnetischen Eigenschaften des Materials, sondern das, was sich an der Oberfläche eines Eisenoxid-Kristalls abspielt. Denn diese Vorgänge sind für die guten katalytischen Eigenschaften des Eisenoxids verantwortlich.
Zusammen mit Forschern der TU Wien haben Wissenschaftler am Lehrstuhl für Festkörperphysik der FAU daher die Struktur der Oberfläche untersucht. Im Inneren eines Kristalls ist es vergleichsweise leicht, die Struktur zu beschreiben - jedes Eisen- bzw. Sauerstoffatom hat einen bestimmten Platz, der sich periodisch wiederholt. "Uns hat dagegen interessiert, wie sich die Atome in den äußersten Lagen des Kristalls anordnen, wo diese Symmetrie gebrochen ist", erläutert Prof. Alexander Schneider.
Die Wissenschaftler beobachteten, dass im Oberflächenbereich weniger Eisenatome vorhanden sind und diese sich auch in anderer Weise als im Innern des Kristalls im praktisch unveränderten Sauerstoffgitter anordnen. Dadurch entstehen besondere Bindungsplätze für sich von außen anlagernde Atome und Moleküle. Dies widerlegt die bisherige Annahme, dass die Chemie von Metalloxidoberflächen grundsätzlich durch das Fehlen von Sauerstoffatomen bestimmt wird. Die Ergebnisse lassen erwarten, dass der Mechanismus der Fehlstellenbildung und Umordnung der Metallatome im intakten Sauerstoffgitter auch an den Oberflächen vieler anderer Metalloxide wirksam ist.
Erlanger Spezialgebiet
Die Struktur eines so komplexen Materials aufzuklären, ist trotz modernster experimenteller und theoretischer Methoden ein schwieriges Unterfangen. Dies gelang der Forschergruppe in Erlangen mit Hilfe der Beugung niederenergetischer Elektronen (LEED: Low-Energy Electron Diffraction). Bei dieser Methode werden Elektronen auf den Kristall geschossen und an dessen Oberfläche in wohldefinierte Richtungen abgelenkt. Aus den Intensitäten dieser gebeugten Elektronenstrahlen können die Wissenschaftler auf der Basis aufwändiger Modellrechnungen dessen Oberflächenstruktur feststellen. Mit dieser Methode hat sich die Arbeitsgruppe des inzwischen emeritierten Prof. Klaus Heinz am Lehrstuhl für Festkörperphysik der FAU eine weltweite Führungsposition bei der Aufklärung der atomaren Struktur von Kristalloberflächen erarbeitet. "Die in dieser Studie erzielte Übereinstimmung aus Experiment und Vergleichsrechnung ist so gut, dass wir nun nicht nur genauestens über die Eisenoxidoberfläche Bescheid wissen, sondern auch zeigen können, dass die Methode der Elektronenbeugung mit der Beschreibung dieser Materialklasse - entgegen einer in der Fachwelt häufig vertretenen Meinung - bestens zurecht kommt", freut sich Dr. Lutz Hammer.
Zusatzinformationen:
R. Bliem, E. McDermott, P. Ferstl, M. Setvin, O. Gamba, J. Pavelec, M. A. Schneider, M. Schmid, U. Diebold, P. Blaha, L. Hammer, G. S. Parkinson:
Subsurface cation vacancy stabilization of the magnetite (001) surface.
In: Science; Vol. 346 no. 6214 pp. 1215-1218, online veröffentlicht am 05. Dezember 2014, DOI 10.1126/science.1260556
Quelle: Technische Universität Wien, Österreich
Aktualisiert am 08.12.2014.
Permalink: https://www.internetchemie.info/news/2014/dec14/neue-rost-formel.php
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