Erbinformation wird in Form von DNA von Generation zu Generation weitergegeben. Genutzt wird diese Information jedoch ganz überwiegend zum Aufbau von Proteinen, den Hauptbausteinen jeder Zelle. Der Informationsgehalt der DNA muss somit fortwährend in einer eindeutig festgelegten Weise in Proteine übersetzt werden. Die dafür notwendige Übersetzungstabelle ist der genetische Code. Dieser Code ist im Prinzip bei allen Lebewesen identisch; der Mensch benutzt denselben universellen Standard-Code wie sämtliche anderen Tiere, Pflanzen oder Pilze. Außergewöhnlich überraschend war deswegen im Jahr 1979 die Entdeckung, dass der Mensch und ein relativ großer Teil des Tierreichs noch eine zweite Übersetzungstabelle verwenden, nämlich in den Mitochondrien. Mitochondrien sind winzige Organellen im Inneren jeder Zelle, die eine eigene DNA besitzen und über diese ein gutes Dutzend Proteine vererben, welche eine zentrale Rolle bei der zellulären Atmung, also der Umwandlung von Sauerstoff in chemische Energie, spielen. Die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe Evolutionäre Pathobiochemie vom Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben nun zum ersten Mal eine Erklärung dafür gefunden, warum der Mensch diesen zweiten genetischen Code überhaupt besitzt und nicht einfach durchgängig den Standard-Code verwendet. Der zweite Code, so die Erklärung, führt zur Synthese von strukturell abnormalen Proteinen, die dafür aber vor gradueller oxidativer Zerstörung durch freie Radikale geschützt sind. "Das ist gerade in den Mitochondrien besonders wichtig, weil bei hohem Sauerstoffumsatz fast immer freie Radikale entstehen", so Moosmann. Der Hauptunterschied zwischen den beiden genetischen Codes besteht in der veränderten Übersetzung einer bestimmten, sehr häufigen Kodierfunktion. In den Mitochondrien erfolgt eine Übersetzung in die Aminosäure Methionin, die dann in Proteine eingebaut wird. Die Biochemiker konnten nachweisen, dass es hierdurch zu einer massiven Ansammlung von Methionin auf der Oberfläche der Proteine kommt. Dadurch sind diese Proteine vor Oxidation geschützt, weil das Methionin die angreifenden freien Radikale schon an der Proteinoberfläche abfängt. Die Methionine selbst werden dabei nach und nach verbraucht und somit für die Aufrechterhaltung der strukturellen Integrität des gesamten Proteinkomplexes geopfert. Zum Nachweis dieses in der Biochemie höchst ungewöhnlichen Prinzips entwarfen die Forscher einen multidisziplinären Ansatz aus Bioinformatik, Molecular Modelling, organisch-chemischer Synthese und Analytik sowie klassischer Zellbiologie und konnten so die beschriebenen Zusammenhänge einzeln nachvollziehen. Ihre neuen Erkenntnisse, die vollständig an der Universität Mainz erarbeitet worden sind, wurden von der renommierten Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) in der Ausgabe vom 28. Oktober 2008 unter der Überschrift "Mitochondrial methionine and oxidative stress" als Aufmacher präsentiert.
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