Nachschub für die Massenproduktion - Zentraler Apparat des
Zellwachstums sichtbar gemacht
Zellen müssen große Mengen Protein herstellen, um wachsen zu können.
Dazu müssen die Proteinfabriken selbst, die Ribosomen, in hoher Zahl
gebildet werden. Der erste Schritt dazu wird durch ein riesiges Enzym im
Zellkern bewerkstelligt, die RNA-Polymerase I oder Pol I. Das macht Pol
I zu einem wichtigen Regulator des Zellwachstums, das ohne
Proteinmassenproduktion nicht erfolgen kann. Gerät das Zellwachstum
außer Kontrolle, entsteht Krebs. Trotz der Bedeutung von Pol I war
bislang aber nur wenig über das Enzym bekannt, vor allem, weil es nicht
in großen Mengen hergestellt werden konnte. Ein interdisziplinäres
Forscherteam um Professor Patrick Cramer und Professor Roland Beckmann,
Genzentrum und Department für Chemie und Biochemie der
Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München konnte nun die
dreidimensionale Struktur der Pol I sichtbar machen und ihre Funktion
detailliert untersuchen. Wie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Cell"
berichtet, zeigte sich unter anderem, dass Pol I sorgfältiger arbeitet
als die bislang untersuchte Schwester-Polymerase Pol II, die die
Baupläne für die Proteinsynthese liefert. Cramer und Beckmann gehören
dem Exzellenzcluster "Center for integrated Protein Science Munich (CIPSM)"
an.
Wie das bei Geschwistern oft ist: Eines bekommt die ganze
Aufmerksamkeit, obwohl die anderen nicht weniger interessant sind. Das
gilt auch für drei Enzyme, die in den Zellkernen höherer Organismen
RNAs produzieren, die RNA-Polymerasen Pol I, II und III. "Die Pol II
ist mittlerweile ganz gut verstanden", berichtet Cramer. "Schließlich
stellt sie die so genannten mRNAs nach Anleitung der Gene her, die
dann als Bauanleitung für Proteine dienen. Von den Schwesterenzymen
Pol I und Pol III dagegen weiß man wenig. Dabei ist Pol I eines der
wichtigsten Arbeitspferde in der Zelle: Dieses Enzym stellt bis zu 80
Prozent der RNA in der Zelle her und reguliert das Zellwachtum." RNA
ist eine dem Erbmolekül DNA nahe verwandte Nukleinsäure und erfüllt in
der Zelle zentrale Aufgaben.
Pol I stellt die so genannten rRNAs her, die Hauptbestandteile der
Ribosomen, also den zellulären Proteinfabriken. Das Enzym erzeugt ein
Vorläufermolekül, das dann in die verschiedenen rRNAs prozessiert
wird. Dieser Vorgang ist der erste Schritt beim Aufbau neuer Ribosomen.
Dank der vorliegenden Arbeit steht aber nun auch die Pol I im
Rampenlicht - und muss sich nicht mehr hinter der berühmten Schwester
Pol II verstecken. "Wir konnten zeigen, dass Pol I über Fähigkeiten
verfügt, die Pol II nicht hat", so Cramer. "Zum einen hat sie eine
eingebaute Funktion zur Fehlerkorrektur. So ist sichergestellt, dass
die RNA-Produkte und damit auch die Ribosomen ordentlich
funktionieren. Zudem sorgt ein eingebauter Elongationsfaktor dafür,
dass Pol I nicht stehen bleibt und das RNA-Produkt fertig stellt."
Dafür aber mussten die Wissenschaftler alle technischen Register
ziehen. Pol I ist ein sehr großes und komplexes Enzym mit 14
Untereinheiten und etwa 50.000 Atomen. Allein das Enzym in
ausreichender Menge zu gewinnen, erforderte Jahre. Den Forschern kam
bei der Aufklärung der Struktur zugute, dass es Ähnlichkeiten zwischen
den Schwesterpolymerasen gibt. Das betrifft vor allem die zentralen
Regionen des Enyzms. Diese Bereiche konnten die Wissenschaftler
aufgrund der bereits strukturell entschlüsselten Pol II modellieren.
Ein wichtiger Bereich, bei dem aber keine Modellierung möglich war,
wurde kristallisiert und einer Röntgenanalyse unterzogen. Dabei zeigte
sich, wie dieser Bereich bei der Initiaton der RNA-Synthese
funktioniert.
Nach Zusammenfügen aller Puzzle-Teile wurde ein komplettes Modell des
Enzyms mit allen 14 Untereinheiten erstellt, was eine Analyse mittels
Kryo-Elektronenmikroskopie erforderte. Anders als bei dem
herkömmlichen Verfahren werden die Präparate dabei nicht chemisch
fixiert, sondern schockgefroren - in der Hoffnung, ein "lebensechtes"
Bild zu erhalten. "Nun konnten wir erstmals ein komplettes Modell der
Pol I erhalten. Es zeigt eine einzigartige Oberflächenstruktur, die
Wechselwirkungen mit spezifischen Faktoren ermöglicht und teilweise
erklärt, wie die verschiedenen Polymerasen ihre zugeordneten Gene
finden", so Cramer.
Quellen und Artikel:
-
Claus-D. Kuhn, Sebastian R. Geiger, Sonja Baumli, Marco Gartmann,
Jochen Gerber, Stefan Jennebach, Thorsten Mielke, Herbert Tschochner,
Roland Beckmann, and Patrick Cramer: Functional Architecture of RNA Polymerase I.
In: Cell; Vol 131, 1260-1272, 28 December 2007;
doi: 10.1016/j.cell.2007.10.051.
-
Genzentrum
der LMU; Department für Chemie und Biochemie