Damit eine Zelle neue Proteine erzeugen kann, holt sie sich den
Bauplan für die neuen Eiweißstrukturen aus der DNA. Dabei werden die
erforderlichen Gensequenzen der DNA zunächst auf eine Boten-RNA
kopiert, auf Englisch "messenger-RNA", kurz mRNA. Der Kopiervorgang
von der DNA zur mRNA geschieht in einem darauf spezialisierten
Protein, der RNA-Polymerase. Die kann man sich als winzigen
Kopierautomaten vorstellen. An einem Ende wird die DNA eingeschleust,
am anderen Ende kommen DNA und mRNA heraus. Die Produktion der
gewünschten und von der DNA vorgegebenen Zellbausteine geschieht im
Anschluss. Dieser Ablauf ist schon recht lange bekannt. Um aber genau
nachvollziehen zu können, wie die RNA nach dem Verlassen der
Polymerase weiterbehandelt wird, muss man wissen, auf welchem Weg die
RNA aus der Polymerase herauskommt. Mit den bisher angewandten
Messmethoden, etwa der Röntgenstrukturanalyse, lässt sich zwar gut der
Weg der RNA im Polymerase-Molekül verfolgen. Sobald die RNA aber die
Polymerase verlassen hat, versagt die Methode, weil sich die
RNA-Moleküle dann flexibel zwischen mehreren Positionen hin und her
bewegen können. Eine solche Dynamik lässt sich mit der
Röntgenstrukturanalyse nicht abbilden. Man bekäme als Messergebnis nur
eine ungenau bestimmte mittlere Position.
Einen genaueren Einblick verschafft eine neue Methode, die in den
Arbeitsgruppen von Michaelis und Cramer im Center for NanoScience (CeNS)
der LMU entwickelt wurde. Grundlage ist die Messung des
Fluoreszenz-Resonanz-Energie-Transfers (FRET) mit einem
Fluoreszenz-Mikroskop. Dabei überträgt ein angeregtes
Fluoreszenzfarbstoffmolekül einen Teil seiner Energie auf ein zweites
Farbstoffmolekül. Die übertragene Energie und damit die Intensität des
gemessenen FRET-Signals hängt sehr empfindlich vom Abstand der beiden
Farbstoffmoleküle ab. So lassen sich Entfernungen im Nanometerbereich
bestimmen. Diese Methode kombinierten Michaelis, Cramer und ihre
Mitarbeiter mit einem Verfahren, das aus der Satelliten-Navigation
(Globales Positionierungs-System GPS) bekannt ist. Um den Ort eines
Objekts präzise zu bestimmen, benötigt man nur seine Distanz zu drei
bekannten Positionen. So peilt ein GPS-Empfänger in einem
Navigationsgerät drei Satelliten an, misst die Distanz zu diesen und
errechnet daraus die eigene Position.
Um die Position von RNA-Molekülen zu bestimmen, markierten die
Münchener Wissenschaftler zwei bekannte Stellen auf der zu kopierenden
DNA und noch zwei weitere Stellen im RNA-Polymerase-Molekül mit
unterschiedlichen Fluoreszenz-Farbstoffen, die in Analogie zum GPS als
"Satelliten" betrachtet werden können. Ein weiterer Farbstoff kam ans
vordere Ende der RNA. Aus den Distanzen der vier Satelliten zum
RNA-Molekül konnten sie nun dessen genaue Position ermitteln. "Wir
haben so gewissermaßen ein Nano-Positionier-System (NPS) entwickelt
und damit für mehrere verschieden lange RNA-Sequenzen deren Lage nach
Austritt aus der Polymerase bestimmt", sagt Michaelis. Im Prinzip ist
das Farbstoffmolekül auf der RNA also ein Beobachter an der Spitze
eines Zuges, an den immer mehr Wagen angehängt werden. Es schaut aus
dem Fenster und beobachtet, wie sich seine Umgebung und seine Position
verändert, je länger der Zug wird.
Ein erster Schritt ist damit getan. Als Nächstes wollen die
Wissenschaftler untersuchen, was passiert, wenn die RNA-Produktion ins
Stocken gerät. Dies kann zum Beispiel durch einen Fehler in der
abgelesenen DNA verursacht werden. Um die Polymerase-Maschine dann
wieder zum Laufen zu bringen, muss dieser Fehler zunächst repariert
werden. Aber wie genau funktioniert das? Die Forscher erhoffen sich
von ihrer Arbeit weitere Erkenntnisse über diesen Reparaturprozess.
Solche Erkenntnisse könnten möglicherweise zur Entwicklung von
Behandlungsmethoden für Krankheiten führen, bei denen eine Störung der
DNA-Reparatur vorliegt.
Die aktuell in den PNAS vorgestellten Arbeiten entstanden im Rahmen
der Exzellenz-Cluster "Nanosystems Initiative Munich" (NIM) und
"Center for Integrated Protein Science Munich" (CiPSM). NIM hat es
sich zum Ziel gesetzt, funktionale Nanostrukturen für Anwendungen in
der Medizin und in der Informationsverarbeitung zu entwickeln, zu
erforschen und zum Einsatz zu bringen. Der Schwerpunkt der Forschung
in CiPSM zielt auf das fundamentale Verständnis der Funktion von
Proteinen in lebenden Systemen.
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