Durch das "Gene Targeting" können einzelne Gene gezielt ausgeschaltet
oder in ihrer Funktion verändert werden. Man spricht daher auch von
Gen-Knockout-Experimenten und von "Kockout-Mäusen", bezogen auf das
Ausschalten eines Gens, das jetzt seine Funktion nicht mehr wahrnehmen
kann und so den Wissenschaftlern erlaubt, Rückschlüsse auf die
Funktion des ausgeschalteten Gens zu ziehen. Zur Zeit konnten mehr als
10 000 Gene bei Mäusen ausgeschaltet werden - das entspricht annähernd
der Hälfte des Genoms von Säugetieren. In naher Zukunft werden
Knockpout-Mäuse für alle Gene verfügbar sein.
Durch die genetische Verwandtschaft von Mäusen und Menschen eröffnet
diese Grundlagenforschung wichtige Ansätze für die medizinische
Forschung und neue Therapien einer Vielzahl von Krankheiten beim
Menschen.
Homologe Rekombination
Die DNA (Desoxyribonukleinsäure) beinhaltet den Bauplan und die
Informationen über die Funktionen menschlicher, tierischer und
pflanzlicher Organismen. Sie befindet sich in den Chromosomen, die
paarweise auftreten - jeweils eines von der Mutter und eines vom Vater
vererbt. Der Austausch von DNA-Sequenzen zwischen den
Chromosomenpaaren vergrößert die genetische Vielfalt innerhalb einer
Population. Der Austausch wird als homologe DNA-Rekombination
bezeichnet und ist seit Beginn des Lebens unverändert Antriebsfeder
der Evolution. Voraussetzung für die homologe Rekombination sind DNA
-Abschnitte mit gleicher oder sehr ähnlicher Abfolge der
DNA-Bausteine.
Die Vision von Mario Capecchi and Oliver Smithies war, dass die
homologe Rekombination dazu verwendet werden könnte, spezielle
Modifikationen in die Gene von Säugetieren einzuführen - an der
Verwirklichung arbeiten beide bis zum heutigen Tage.
Capechi konnte zeigen, dass die DNA Rekombination zwischen
eingeführter DNA und den Chromosomen in Säugetierzellen stattfindet
und dass defekte Gene mittels homologer Rekombination durch die
künstlich eingeführte DNA repariert werden können.
Smithies ursprüngliche Arbeit lag in der Reparatur mutanter
menschlicher Zellen. Er ging dabei von der Möglichkeit aus, dass
vererbte Blutkrankheiten durch Korrektur der krankheitsauslösenden
Genmutationen in Knochenmark-Stammzellen behandelt werden könnten.
Während seiner Arbeit entdeckte er, dass endogene Gene unabhängig von
ihrer Aktivität verändert werden können. So kam er zu der Erkenntnis,
dass alle Gene für die Modifikationen durch die homologe Rekombination
zugänglich sind.
Embryonale Stammzellen
Die anfänglich von Capecchi und Smithies verwendeten Zellen konnten
nicht zur Modifizierung tierischer Gene verwendet werden. Hierzu war
ein anderer Zelltyp erforderlich - nämlich ein Zelltyp, der zur
Keimung von Zellen führte und damit zur "Vererbung" von
DNA-Modifikationen.
Martin Evans arbeitete mit embryonalen Krebszellen von Mäusen (EC -
embryonal carcinoma cells), die sich zu fast jeder Zellart entwickeln
können, obwohl sie aus Tumoren stammen. Seine Vision: Die Verwendung
von EC-Zellen als Transportvehikel zur Einschleusung von genetischem
Material in die Keimzellen von Mäusen. Zunächst erfolglos, weil die
EC-Zellen anormale Chrmomosomen enthielten, suchte Evans nach
Alternativen: Er entdeckte, dass auf die Chromosomen bezogene normale
Zellkulturen direkt von frühen Mäuseembryos etabliert werden können.
Dieser Zellen werden als embryonale Stammzellen (ES) bezeichnet.
Im nächsten Schritt mußte gezeigt werden, dass die Informationen der
embryonalen Stammzellen zur Entwicklung des Organismus beitragen. Dies
geschah wiederum an Mäusen, und Evans konnte zeigen, dass die
gentische Information der Stammzellen in Übereinstimmung mit den
Mendelschen Gesetzen weitervererbt werden.
Jetzt konnten die embryonalen Stammzellen genetisch verändert werden,
wofür Evans Retroviren verwednete, die ihre Gene in die Chromosomen
integrieren. Er demonstrierte die Übertragung der retroviralen DNA von
ES-Zellen an Mäusen, die so mit neuem genetischen Material
ausgestattet wurden.
Homologe Rekombination in embryonalen Stammzellen
Seit 1986 standen mit den beschriebenen Methoden alle Instrumente zur
Verfügung, genveränderte embryonale Stammzellen zu erzeugen. Nun
mußten nur noch beide Methoden kombiniert werden: Dazu verwendeten
Smithies and Capecchi das leicht identifizierbare Gen, welches das
seltene Lesch-Nyhan Syndrom (Hyperurikämie-Syndrom, Hyperurikose)
verursacht. Capecchi verfeinerte die Strategien zur Genmanipulation
und entwickelte eine neue Methode (sog. Positiv-Negativ-Selektion),
die allgemein anwendbar ist.
Knockout-Mäuse
Die ersten Artikel über homologe Rekombinationen in embryonalen
Stammzellen stammen aus dem Jahre 1989. Von da an stieg die Zahl der
Publikationen über Linien von Knockout-.Mäusen exponentiell. Die
Genmanipulation hat sich seit dem zu einer sehr vielseitigen Technik
entwickelt; sie ermöglicht es heute, Mutationen in Zellen einzubauen,
die zu beliebigen Zeitpunkten an- und ausgeschaltet werden können -
und das in beliebigen Zellen oder Organen; und sowohl während der
Entwicklung als auch im erwachsenen Organismus.
Genmanipulation als Instrument zur Erforschung von Krankheiten
Nahezu jeder Aspekt der Säugetier-Physiologie kann mit der Methode der
Nobelpreisträger studiert werden. Zur Zeit explodiert die Zahl der
Forschungsarbeiten zur praktischen Anwendung dieser Technologie, so
dass es nicht mehr möglich ist, die Ergebnisse in ihrer Gesamtheit
zusammen zu fassen. Nur eines lässt sich sagen: Die angestossene
Forschung wird in vielen Bereichen der Medizin und Tiermedizin zu
neuen Therapieansätzen führen.
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