Darmstadt - Januar 2021. Mit Hilfe hochenergetischer Protonen lassen sich Nukleonen und vorgeformte Kern-Cluster aus Atomkernen herausschlagen. In einem Experiment am Research Center for Nuclear Physics (RCNP) in Osaka konnten nun Heliumkerne in verschiedenen Zinn-Isotopen nachgewiesen werden und die Entwicklung der Wahrscheinlichkeit für ihre Formierung entlang der Zinn-Isotopenkette studiert werden.
Die Ergebnisse einer Forschungsgruppe mit führender Beteiligung der TU Darmstadt, des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt sowie des RIKEN Nishina Centers for Accelerator-Based Science in Tokyo sind in einem Beitrag in der Zeitschrift Science zu finden [siehe unten].
Atomkerne sind aus Neutronen und Protonen aufgebaut, die sich aufgrund der starken Wechselwirkung zu Atomkernen vereinen. Die Kenntnis der Eigenschaften von Atomkernen und deren theoretische Beschreibung sind Grundlage für unser Verständnis von Kernmaterie sowie der Entwicklung des Universums. Die Untersuchung der Eigenschaften ausgedehnter Kernmaterie, wie sie zum Beispiel in Neutronensternen im Universum vorliegt, kann experimentell im Labor nur über Kernreaktionen erfolgen, die wichtige Information über die Eigenschaften von Kernen liefern. Die so in Experimenten gewonnenen Erkenntnisse werden wiederum zum Test von Theorien zur Beschreibung von Kernmaterie unter verschiedenen Bedingungen herangezogen.
Einige Theorien sagen voraus, dass leichte Kerne wie Heliumkerne mit Neutronen und Protonen in Kernmaterie koexistieren. Dieses sollte in einem Dichtebereich erfolgen, der deutlich unterhalb der Sättigungsdichte von Kernmaterie liegt, wie sie im Innern von schweren Atomkernen vorliegt.
Eine in Darmstadt an der Technischen Universität und am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung von Dr. Stefan Typel entwickelte Theorie sagt voraus, dass diese Kondensation von Heliumkernen auch an der Oberfläche von Atomkernen auftreten sollte. Ziel des in der genannten Ausgabe von Science vorgestellten Experimentes war eine Überprüfung dieser Vorhersage.
Im beschriebenen Experiment wurden Zinn-Isotope mit hochenergetischen Protonen bestrahlt. Dabei wurden eindeutig gestreute Protonen und herausgeschlagene Heliumkerne nachgewiesen. Die genaue Analyse der Wissenschaftler Dr. Junki Tanaka und Dr. Yang Zaihong zeigte, dass es sich um eine direkte 'quasi-elastische' Streuung der Protonen an Heliumkernen in Zinnkernen handelt. Die ermittelten Wirkungsquerschnitte für verschiedenen Zinn-Isotope zeigen zudem, dass die Wahrscheinlichkeit für die Bildung von Heliumkernen deutlich mit dem Neutronenüberschuss der Kerne abnimmt.
Dies bestätigt auf beeindruckende Weise die Vorhersage der Theorie. Diese neue Erkenntnis, die weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis von Kernen und Kernmaterie hat, soll nun genauer untersucht werden: In experimentellen Programmen an den Beschleunigeranlagen des Research Center for Nuclear Physics (RCNP) in Japan, sowie bei RIKEN und der neuen FAIR-Anlage in Darmstadt bei der GSI sollen insbesondere auch kurzlebige neutronenreiche Kerne studiert werden.
Im Detail
Der α-Zerfall ist eine übliche Art der Radioaktivität in schweren schweren chemischen Elementen wie Uran, die den Verlust von Partikeln mit zwei Protonen und zwei Neutronen zur Folge hat. Trotz mehr als einem Jahrhundert Forschung bleibt offen, wann und wo sich diese α-Partikel in stabilen und instabilen Atomkernen bilden.
Tanaka et al. bombardierten eine Reihe stabiler Zinnkerne mit hochenergetischen Protonen und entdeckten ausgestoßene α-Partikel in einer Häufigkeit, die umgekehrt mit der Massenzahl korreliert (siehe auch Artikel von Hen).
Diese Beobachtung, die die Akkumulation von alpha;-Partikeln mit der Dicke der Neutronenhaut an der Kernoberfläche in Beziehung setzt, betrifft Modelle, die den radioaktiven Zerfall bis zur Dynamik von Neutronensternen umfassen:
Wenn Neutronensterne gebildet werden, zerquetscht quasi ihr massiver Gravitationsdruck die meisten ihrer Protonen und Elektronen zu Neutronen. Das Verständnis der Wechselwirkung zwischen den verbleibenden etwa fünf Prozent Protonen und Neutronen im Kern des Sterns ist erforderlich, um die Zustandsgleichung des Neutronensterns zu modellieren, die seinen Druck und seine Dichte in Beziehung setzt und viele seiner makroskopischen Eigenschaften bestimmt. Diese Protonen-Neutronen-Wechselwirkungen werden von der äußerst komplexen starken Kernkraft bestimmt, was konkrete Berechnungen des Zustands erschwert. Dieses Problem versucht man traditionell durch die Verwendung effektiver Mittelfeldmodelle zu überwinden. Obwohl insgesamt aufschlussreich, werden die wichtigen Auswirkungen von Nukleon-Nukleon-Korrelationen und Kernclustern in diesen Berechnungen normalerweise jedoch nicht explizit berücksichtigt.
Die von Tanaka et al. durchgeführten genauen Messungen der Bildung von Helium-4-Kernen in der äußeren Neutronenhaut eines breiten Spektrums neutronenreicher Zinnnuklide könnten die bisherigen Modellen verbessern und dazu beitragen, deren Einschränkungen zu überwinden.
Zusatzinformationen:
Junki Tanaka, Zaihong Yang, Stefan Typel, Satoshi Adachi et al.:
Formation of α clusters in dilute neutron-rich matter.
In: Science; Vol. 371, Issue 6526, pp. 260 - 264, 15. Januar 2021, DOI 10.1126/science.abe4688
Or Hen:
From nuclear clusters to neutron stars.
In: Science; Vol. 371, Issue 6526, pp. 232, 15. Januar 2021, DOI 10.1126/science.abf2427
Quelle: Technische Universität Darmstadt, Pressemitteilung
Aktualisiert am 17.01.2021.
Permalink: https://www.internetchemie.info/news/2021/jan21/heliumkerne-in-zinn-atomen-entdeckt.php
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